
DIE 120 TAGE VON BOTTROP Christoph Schlingensief, D 1997, 60 min
Eine Hommage an Fassbinder und ein harter Schlag für die deutsche Filmkunst
Herr Schlingensief. Sie sind derzeit auf allen Kanälen präsent. Erst haben sie bei der Kasseler documenta "48 Stunden Überleben für Deutschland" veranstaltet und sind dabei verhaftet worden dann machten sie mit Ihrer Talkshow auf RTL Schlagzeilen und nach Ihrer "Bahnhofsmission" am Hamburger Schauspielhaus steht jetzt die Premiere Ihres neuen Films an. Warum diese Produktionswut?
Für mich ist das eine Teststrecke. Wir haben noch etwas mehr als zwei Jahre Zeit zur Jahrtausendwende. Ab 2000 wird ja alles anders, dann können die Autos fliegen, und wir ernähren uns von Tabletten. Aber bis dahin kann man's doch machen, einfach mal tun. Ich mache das aus einer totalen Lust heraus.
Und was kommt nach dem letzten Neuen Deutschen Film?
Wenn man mir das Vier Jahreszeiten gibt, dann will ich Hotelbesitzer werden und das ein halbes Jahr leiten. Oder ich werde Busunternehmer, so einer, der mit Mikrofon in der Hand mit den Leuten durch die Gegend fährt und ihnen die Welt zeigt. Ich bin nicht gern auf der Welt, und wenn ich schon da bin, dann möchte ich zumindest ein paar Sachen erlebt haben.
Was bedeutet Fassbinder für Sie?
Dass einer soviel Sachen macht finde ich toll. Ich finde, dass er falsch eingestuft wird, dass er ein Zyniker war und die ganzen Genres noch mal abgeklopft hat, um zu sehen, was drin ist, und sich dann ins All katapultiert hat.
Wenn es ietzt aus ist mit dem Autorenfilm ... Sie sind doch ein Autorenfilmer?
Man müßte ein Schloß in Schottland haben, Freunde einladen, filmen und ihnen dann die Kassetten schicken. Aber wenn das nicht geht, denke ich, man packt die Schauspieler mal drei Wochen in irgend ein Dorf und macht dort vor Ort was, ohne Drehbuch. Wir müssen uns nicht perfektionieren. Wir müssen die Fehlerquote im Film erhöhen. Fehler machen.
Ihre Meinung über das Medium Fernsehen ist äußerst dezidiert ...
Wäre ich Bundeskanzler, würde ich ein paar Fernseh-Redakteure hier in Berlin ins Grand Hotel bringen, ließe sie hinter Stacheldraht und Wachtürmen festsetzen. Die würden immer nur Hummer und Kaviar kriegen und im Fernsehen laufen ihre eigene Produktionen, die sie sich den ganzen Tag angucken müssen. Da wäre der Selbstmord sicher in Sicht. Ich würde ihnen irgendwo eine Pistole verstecken.
Waren Sie mal beim Psychiater?
Einmal. Aber da ich mich nicht ändern will, brauche ich da auch nicht mehr hin. Mir geht's hervorragend.
Pressestimmen
Es war der rasanteste Abend in der Volksbühne seit ihrer Bombardierung im Zweiten Weltkrieg, es war die Vernichtung des Neuen Deutschen Films. (zur Premiere des Filmes in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz im November 1997) (TIP Berlin, Peter Laudenbach)
Deconstructing Riefenstahl und Fassbinder: Die deutsche Krankheit Film, der Triumph des Willens zur Komödie, all das muss totgemacht werden. Einer musste diesen schmutzigen Job erledigen. Er hat es für uns getan. (Andreas Becker, zum Kinostart 1997)
Wenn man Schlingensief sieht, weiß man, was dem deutschen Kino, so gefällig es daherkommen mag, zumeist abgeht: Eigenart. (Michael Althen, zum Kinostart 1997)