Die Basis des Make-Up
D 1984, 84 min
Offener Voyeurismus beherrscht die Szenerie. Wo immer es geht, spießen sich die Menschen gegenseitig an ihren Gefühlen auf und treiben sich die Keile der Liebe ins Fleisch, A will ausschließlich B, doch B liebt nur C, und C kann nur mit A, romantische Liebe wird zur masochistischen Institution, ihre Darstellung zur Komödie.
Synopsis
Belgien, am 9. Oktober 1979. Ein Koch bohrt ein Loch in die Tür zur camera obscura seines Chefs, einem persisch-amerikanischen Teppichhändler. Dieser haust mit zwei befreundeten Frauen und einem selbstverliebten Trinker neben den hellen Räumen seiner Bediensteten in einer düsteren Teppichhöhle. Auf dem schmalen Grat zwischen beruflichem und privatem Dasein, Abhängigkeiten und Machtausübung, versucht jeder, seinen Deal mit der Liebe über Wasser zu halten.
Zusammen mit den Filmen NORMALSATZ (1978-81) und DIE WIESE DER SACHEN (1974-87) bildet DIE BASIS DES MAKE-UP die Trilogie der Siebziger Jahre.
Weitere Texte
Der Eisschrank als Hausorgan
(Frieda Grafe)
Das einzige offizielle Forum, das seine Filme in Deutschland hatte, war in Berlin bei den Filmfestspielen. Sein zuletzt fertiggestellter Film DIE BASIS DES MAKE-UP wurde in diesem Jahr abgelehnt. Das ist ein Symptom und auch ein Witz. Heinz Emigholz würde die Bezeichnung Faktum sicher vorziehen und warnen vor den Fallstricken von Interpretation, die von versteckter Bedeutung und tieferem Sinn lebt. Bei ihm liegt alles offen. Die Bedeutung zuallererst. Die Vorkommnisse in seinen Filmen vollziehen sich simultan. Wie Dinge sich im Kopf ereignen. In seinen Zeichnungen, die 1984 in der Zeitschrift REPUBLIK erschienen, ist jeder Strich Bedeutung und jeder Punkt sagt etwas. Sie gleichen einer umgeleiteten Schrift. Ihre Linearität betont weniger das Wesen von Zeichnung generell, als daß sie an Ideen und Überlegungen von van de Velde denken lassen: wie die Linie Negativ- und Positivräume schafft.
Der in Berlin abgelehnte Film liegt nach Emigholz’ Vorstellung vor NORMALSATZ und nach THE BASIS OF MAKE-UP, die beide in früheren Jahren in Berlin gezeigt wurden. Ihnen wird noch ein weiteres Stück, DIE WIESE DER SACHEN, folgen. Daß seine Arbeit die verdiente Anerkennung finde – dem steht wahrscheinlich sein multimediales, interdisziplinäres, synästhetisches Engagement entgegen. Er zeichnet nicht nur, er hat, für einen Experimentalfilmer selten, ein ungewöhnliches Ohr für Sprache, eine gesteigerte Aufmerksamkeit für Normalsätze der Kommunikation und deren Mutationen, die die poetische Sprache vollbringt.
Emigholz übersetzte den Mallarmé-Text „Der Dämon der Analogie“ in Film und verlängerte mit seinen Mitteln die Intentionen des Dichters, ein unhierarchisches Verhältnis zwischen Wörtern und Bildern herzustellen, ein bildliches Denken, in dem die Abhängigkeit der Bilder von der Sprache in Gleichberechtigung umgeformt wird. Für Mallarmé, für die Symbolisten waren die Objekte – und die Sprache sahen sie auch als Objekt – nicht in erster Linie dazu da, Sinn zu machen. Sie entdeckten, daß sie in grundsätzlicheren Verhältnissen zueinander stehen, daß eigene Zusammenhänge zwischen ihnen sich generieren, die ihnen eine eigene Lebendigkeit geben.
Emigholz’ neuester Film hat mehr vom Erzählfilm als alle früheren, weil er sich mit dessen Elementen auseinandersetzt, mit Story, mit Schauspielern, was heißt, mit Darstellung. You mean, you make them up, fragte Warhol erstaunt einen Romancier, der ihm von Figuren und Geschichten in dem Buch erzählte, das er gerade schrieb. DIE BASIS DES MAKE-UP hat eine Hauptfigur, einen sadomasochistischen Teppichhändler, der einem Haushalt aus Freunden und Bediensteten vorsteht. Die Herrschaft hat eine perverse Art, sich ernähren zu lassen, widernatürlicher als alles, was an Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Hausgemeinschaft sich tut, die ein Muster an Unproduktivität sind, weil A B liebt, B C und C A. Die Dreiecksgeschichte wird zum Ringelreihen.
Der Teppichhändler intoniert seine Texte stark amerikanisch, wodurch die Wörter eine Eigenmächtigkeit bekommen und die kausale Sinngebung der Sätze zusammenbricht. Mal redet er für sich, mal als Erzähler, mal als Figur, in seiner Hand laufen verschiedene Erzählfäden zusammen. Das charakterisiert ihn mehr als sein Beruf. Der imprägniert eigentlich mehr den Erzählraum. Er weckt Assoziationen zu „Tausendundeiner Nacht“, und mit dem Orientalischen kommt, wenn man Roland Barthes fragen mag, sofort ein Air von Homosexualität ins Spiel, von „türkischen Liebschaften“.
In den siebziger Jahren wurde in Frankreich der Textbegriff entwickelt, der die alte Werk-Vorstellung ablöste, gleichzeitig den Autor als Eigentümer in Frage stellte und den Leser als Co-Produzenten einführte. Was gibt es textähnlicheres als einen Teppich, und ihn fliegen zu lassen hat das Kino keine Mühe. Bei Emigholz geschieht es ohne Tricks. Er macht Bilder, in denen nicht die Schwerkraft herrscht, die, im Kino üblich, jedes Bild nach einer imaginären realistischen Horizontalen ausrichtet und den als einzig normal empfundenen, zurechtgestutzten Raum entstehen läßt, der nur eine Projektion von Normierung ist.
Bei Emigholz wirkt auch das Mechanische als vegetative Kraft. Er betreibt eine Umwertung der Werte künstlich/natürlich, normal/pervers. Konventionen vor allem sind widernatürlich.
Filme wie die von Emigholz, die Theorie und Praxis miteinander verknüpfen, die deshalb experimentell genannt werden – eine Bezeichnung, gegen die, auf Kunst bezogen, Gertrude Stein schon protestierte, weil sie die falsche Vorstellung von etwas Provisorischem weckt –, solche Filme haben bei uns keinen Platz mehr, seit die unabhängigen Kooperativen eingegangen sind. Den Schaden tragen die Zuschauer, denen weisgemacht wird, daß Film ausschließlich erzählt, ob dokumentar oder fiktiv macht keinen Unterschied. Mangels Anschauung fehlen ihnen die Kriterien, um Filme von innen zu sehen und an ihnen zu partizipieren.
Credits
Buch, Regie, Kamera und Schnitt
Heinz Emigholz
Mit
John Erdman, Bernd Broaderup, Eckhard Rhode, Claus-Wilhelm Klinker, Carola Regnier, Kiev Stingl, Silke Grossmann, Hannes Hatje, Sheila McLaughlin, Klaus Dufke, Marcia Bronstein, Heinz Emigholz, Gary Schneider
Musik
Kulturhaus-Orchester Bukarest
Licht
Axel Schäffler
Originalton
Alfred Olbrisch, Richard Borowski
Mischung
Richard Borowski
Produzent
Heinz Emigholz
Produziert von
Pym Films (im Auftrag des ZDF)