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Die Wiese der Sachen

D 1988, 88 min

Die Chronik eines Abschieds.

Synopsis

Clonetown, 1974 bis 1979. Charon, ein abgesprungener Terrorist, sitzt am Ufer zur Vergessenheit und kommentiert die bevorstehende Vermoderung eines entführten Autohändlers. Er hätte auch gern einen Körper gehabt. In seiner Erinnerung ziehen seine zweiten und dritten Ichs herauf, der megalomanische Künstler und der perverse Teppichhändler. Die ehedem achtlos misshandelten Dinge rächen sich in seinem Kopf. In der Fernsehsendung ‚Tausend Häuser‘ werden Bauwerke auf die Gehirne ihrer Architekten zurückprojiziert. In den Bäuchen längst gestrandeter Schiffe haben Matrosen immer noch Sex. Dem allwissenden Erzähler ist das Publikum weggestorben. Er liegt auf seinem Hotelbett in Vancouver, isst Opium und ruft sich alle Räume, in denen er jemals hauste, ins Gedächtnis zurück. Jedes Jahrzehnt hat seinen eigenen Zugang zum Himmel.

Zusammen mit den Filmen NORMALSATZ und DIE BASIS DES MAKE-UP bildet DIE WIESE DER SACHEN die Trilogie der Siebziger Jahre. Der Film enthält als Zitat einen Auschnitt aus SCHENEC-TADY IV, einer 1975 hergestellten und nicht veröffentlichten Folge der SCHENEC-TADY-Serie.

Streaming-Info

Der Film ist über unseren Vimeo-Kanal zum Leihen oder Kaufen erhältlich.
Sprache: Deutsch, Untertitel: Englisch

Pressestimmen

Reimte sich NORMALSATZ auf Neugier, so DIE BASIS DES MAKE-UP auf Denkmal, kahl und kalt wie die Schädelknochen unter der geschminkten Maske. Diese Antithesen werden in DIE WIESE DER SACHEN in Ironie aufgehoben. Ein ausgestiegener Terrorist ruft an, redet aus dem alleingelassenen Hörer. Erzählt von seinem Haß auf Mercedes-Limousinen, der ihn zum Verbrecher gemacht hat. Erzählt vom Leben, das in jeder Sekunde verloren geht, lacht über Leiden an der Leichtigkeit des Lebens. Zum Off-Text zeigt Emigholz die Räume, in denen sein Schweiß verdampft ist und die Fenster, die sein Atem beschlug. Zeitraffer-Sequenzen, in denen die Zeit als Bewegung über die Oberfläche der Dinge fließt: Fotografie der Geister, die wie Schatten in der platonischen Höhle durch ihre vorzeitigen Gräber huschen. Denn die Wirklichkeit draußen ist bloß albern. Ein Fernsehreporter erklärt das IBM-Haus an der Ost-West-Straße zum Monument der Lochkarte, von der schon keiner mehr weiß, wie sie aussieht, und die Kachelwände der U-Bahnstation Messberg als fäkalen Dank des Architekten an seine Mutter: ein Haufen Scheiße in einem Meer aus Pisse.
Der ästhetische Terrorist träumt dabei von Sätzen, die wie Zeitbomben wären. Die sich im Gehirn niederlegen, um bei der nächsten Gelegenheit zu platzen und ihre Sporen zu verteilen. (Uwe Ruprecht, TAZ, 21.04.1979)

Seine Filme erfinden zwar, sie situieren Figuren, Handlungen und Gespräche. Trotzdem haben sie nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem klassischen Erzählkino. Im Gegenteil: Dessen verlogene Illusion einer kontinuierlichen Handlung sowie natürlicher Charaktere, deren Gefühle sich in aufdringlicher Expressivität äußern, verursachen Emigholz physische Schmerzen. Sein Gegenentwurf entspringt deshalb nicht einer intellektuellen Laune. Er ist Ausdruck körperlicher Notwendigkeit, die auf der Erfahrung von Kontingenz anstelle der Kohärenz beharren. (Mathias Heybrock, Frankfurter Rundschau, 02.03.1996

Preise und Festivals

- Berlinale Panorama 1988, 2016 („Gay Teddy Bear Award“ – Bester Spielfilm 1988)

Weitere Texte

Vollständige Kritik von Peter Tscherkassky
(erschienen in BLIMP, Nr. 11, 1989)

Man möchte Ähnlichkeiten zwischen Fernando Pessoa, dem Autor des ‘Buchs der Unruhe’, und Heinz Emigholz feststellen, ohne sofort überprüfen zu müssen, ob der Vergleich standhält: die Assoziation drängt sich auf. Die Resultate beider sind unterschiedlich genug; aber es ist die (Erzähl)-Haltung, die den Vergleich zu gestatten scheint: sich eine als äusserst fremd empfundene Welt aneignen, indem sie einem ideolektischen Modus der Beschreibung und der Reflexion unterworfen wird.
Mit DIE WIESE DER SACHEN hat Emigholz nach NORMALSATZ und DIE BASIS DES MAKE-UP seine Langfilm-Trilogie über die 70er Jahre abgeschlossen. Wie schon in den zwei vorangegangenen Filmen dominiert in der Wiese der Sachen der Konflikt ‘Innen/Außen’ den Aufbau der Erzählungen. Es ist die existenzielle Fragestellung nach der Position des eigenen Ichs, das sich der grundsätzlichen Andersheit dessen, was sich als gesellschaftliche Wirklichkeit organisiert, bewußt wird. Was dabei Pessoa gedämmert haben mag, hat sich bei Emigholz zur Gewißheit verdichtet: ‘Die Menschen als zu Lebzeiten abgestoßene Leichenteile einer sich auf ewig weiterteilenden Gesellschaft.’ Dieser Konflikt läßt sich in alle Ebenen der Erzählung hinein verfolgen, die aus einem zusammengetragenen Splitterwerk besteht wie jene Scheiben, in denen das Alter Ego des Narrators in der ersten Sequenz wühlt.
Ein Telefon läutet, unmittelbar neben einem Fenster, das den Blick auf die Großstadt draußen (‘Clonetown 1974-1979’ wird sie genannt) freigibt. Jemand hebt ab, legt den Hörer neben den Apparat: Emigholz wird uns seine Fragmente aus großer Ferne berichten, aus Vancouver, Kanada, und tot sei er auch schon, seit dem 9. Oktober 1979, wie man erfährt.
Da ist zunächst die ‘Kämpfende Einheit Bernard Buffet’, die Mercedeshändler kidnappt und gegen Lösegeld wieder freiläßt. Deren Letzter hat freilich Pech: als der Bundeskanzler sich weigert, einen After-Eight-Spot aus dem Volksgefängnis im Werbefernsehen zu senden, wird er lebendig begraben: Emigholz’s ironischer Kommentar zum Individualterrorismus ... Dessen Drama machte es aus, die Kluft zwischen dem Innen des eigenen moralischen Anspruchs und dem Außen der gesellschaftlichen Realität nicht ertragen zu haben; ein gescheiterter Versuch, das eine über die übermächtige andere stülpen zu wollen. Der Erzähler selbst ist abgesprungener Terrorist; wohl nachdem er einen Stapel Postkarten mitgebracht hatte und ‘vor den Augen der Gruppe die Motive für den Erwerb jeder einzelnen Karte offenlegen’ mußte. Nun flüchtet er durch die diversen Hotelzimmer. Bevor er sich auf die Suche nach einer neuen Identität begibt, läßt er seine früheren Wohnstätten Revue passiere: im Film Zeitrafferaufnahmen; die einzelnen Kader langzeitbelichtet und auf der optischen Bank wieder vervielfältigt; schemenhaft die Silhouetten der Menschen in den ‘Räumen der Vergangenheit: darin unsere Geister’. Noch einmal tauchen die Identitäten des Erzählers auf: der megalomanische Künstler aus NORMALSATZ, der perverse Teppichhändler aus der BASIS DES MAKE-UP (die anderen Ichs, auch das ein Motiv bei Pessoa); aber die eigenen Konstrukte der Phantasie bieten keinen Fluchtpunkt mehr...
Immer wieder wechselt Emigholz auf die Ebene sarkastischen Humors. Dennoch überwiegt die Diagnose des endgültigen Verlusts jeder Art von Zufluchtsmöglichkeit. In der Schlußsequenz finden sich die Menschen im Keller wieder. Auf rohen, hölzernen Regalen voll Stroh haben sie ihre Leiber abgelegt. Nicht mal der Blick nach draußen ist ihnen geblieben. Knallrot die Fensterscheibe. Der Blick nach draußen ist leer.
In DIE WIESE DER SACHEN hat Heinz Emigholz seine Erzähltechnik – formal wie inhaltlich – noch weiter perfektioniert. Seine Arbeiten will er als Aussagen über die Realität verstanden wissen, das Medium Film soll ihm dabei als Mittel dienen, nicht als Thema für sich (das Etikett des ‘strukturellen Filmemachers’, wie es besonders für sein frühes Werk gerne verwendet wird, weist er kategorisch zurück). Allerdings ist es auch die formale Komposition seiner Bilder und ihrer Verkettung, die deren eminente Qualität ausmachen. So hat Emigholz eine filmische Weise urbanen Erzählens entwickelt, wie man sie kaum sonst wo zu finden vermag. Gemessen an ihm wirkt jede Schuß-Gegenschuß-Abfolge wie der unerträgliche Ausdruck einer heimeligen Dorfidylle, wie sie nicht einmal für die tiefste Provinz mehr gültig sein kann. Das Fragmentierte des Raumes seiner Kamera, die keine verbindlichen Koordinaten mehr kennt, die zertrümmerte Zeit unter den isoliert wirkenden Sätzen, die sich fast nur gewaltsam zu einer einigermaßen tragfähigen Kohärenz des Nacherzählbaren zusammenfügen lassen: seine Filme spiegeln das klaustrophobische einer Bedrohung, in der nahezu jeder Raum zu eng geworden ist: das Innen welcher Ideologie auch immer, das Außen jeder Art von öffentlicher Inszenierung: ‘Die Welt platzt nicht gleich auseinander, wenn das Gedankenkostüm nicht mehr paßt, in das ,man sie gepreßt hat. Die Menschen sind ihr völlig gleichgültig’, denn: ‘Ausnahmslos alle sind austauschbar’. Und so seine Bewegung nach vorne: auf jene borderline dazwischen, von der aus alles, was den Anschein des Festen, Verläßlichen und Gültigen sich zu geben versucht, obsolet erscheint.“

Strahlende Blicke
von Hans Hurch (FALTER, Wien, 1990)

Hans Hurch: Die drei Filme, die jetzt in Wien gezeigt werden, markieren wesentliche Momente in der Entwicklung Ihrer Arbeit. Da ist zuerst die rein strukturell in Einzelbildern komponierte Landschaft von SCHENEC-TADY III (1972/ 75). Dann folgt HOTEL (1975/76), ein Film in dem kleine Handlungsfragmente und Bewegungsabläufe bearbeitet werden. Und schließlich DIE WIESE DER SACHEN (1974/87), ein Langfilm, der, wenn auch auf sehr eigenwillige Weise, eine Geschichte erzählt. Oder so tut, als würde er eine Geschichte erzählen. Wie hat sich diese Entwicklung vollzogen?

Heinz Emigholz: Es fing damit an, daß ich mit „Film“ überhaupt nicht klargekommen bin. Die filmische Abbildung, der Realismus im Film, das, was da Zeit und Bewegung repräsentiert, hat mich als Betrachter nahezu verrückt gemacht. Und meine ersten Arbeiten waren wie eine Medizin dagegen - um mich zu beruhigen. Film hat mich verrückt gemacht und war gleichzeitig selbst die einzige Möglichkeit, zu analysieren, was die Parameter dieser Bewegung sind, wie sie sich zusammensetzt, wie Abbildung entsteht. SCHENEC-TADY war sozusagen die große Oper darüber, der rigorose Versuch, alle Möglichkeiten der filmischen Bewegung erstmal selbst zu erfinden. Das sind alles Einzelbilder, und daraus wurden verschiedene Bewegungsmöglichkeiten komponiert, die sich dann gegenseitig durchdringen, über Brennweiten, 360 Grad, die Bewegung auf der Achse in den Raum hinein. Aber diese Filme, diese schnellen Bildfolgen sind zugleich irgendwie des Teufels, weil sie völlig abstrakt eine Komposition über die Dinge legen. Da steckt eine große Energie drin, auf die ich damals süchtig war, aber es ist eine im musikalischen Sinne abstrakte Energie, die eben nichts zu tun hat mit der Abbildung von Welt, sondern mit einer bestimmten Wirkung, die man erzeugt. Und irgendwann wird das zu einer kleinen Höllenmaschine.
Dann gab es den Übergang zu HOTEL. Das Material ist entstanden während meiner Zeit in Amerika. Ich ging eines Tages in San Diego die Straße entlang, hatte eine Super-8-Kamera dabei, und vor mir gingen diese beiden Personen. Ich hielt die Kamera in halber Höhe, nahe an der Hauswand, und machte, ohne durchzugucken, eine Aufnahme dieser Gehenden. Dann habe ich mir das am Projektor angesehen, und ich hatte plötzlich das Gefühl, daß ich das genau so sehen wollte, wie es sich ereignet hatte - bis in die Komposition des Bildes hinein. Ich habe das dann mit anderen Aufnahmen kombiniert, es bearbeitet, Positiv und Negativ zusammengeprintet, am Schluß die Bewegung umgekehrt und das Ganze so ineinandergefügt, daß zwei Personen zugleich von A nach B und von B nach A gehen. Die ersten Filme be-ruhten auf der „filmischen“ Bewegung, und HOTEL, das ist der Übergang in die Realbewegung.

Sie haben über die Jahre hinweg eine Menge Super-8-Material aufgenommen. „Langzeitbeobachtungen von Dingen und Räumen im unterschiedlichen Licht der Städte“, wie Sie das genannt haben. „Eine kleine Enzyklo-pädie des Alltags: Wohnen, Essen, Schlafen, Räume, Straßen, Verkehr.“ Das gesammelte Material wurde dann auf 16 mm aufgeblasen und an der optischen Bank bearbeitet. Diese gespenstisch verdichteten Passagen durch Zeit und Raum tauchen schließlich in den Filmen NORMALSATZ (1978/81) und DIE WIESE DER SACHEN wieder auf.

Das Material ist wunderschön. Man sitzt davor wie vor einem Bild. Es ist ein visuelles Ereignis für sich und wäre fast schon ein eigener Film. Aber das hat mir nicht gereicht. Ich wollte das Ganze in einen Zusammenhang bringen, der zugleich etwas anderes erzählt und der sich außerordentlich grob gegenüber diesem Material verhält, also einen Kontrapunkt setzt. In NORMALSATZ fand ich keinen Platz dafür, aber bei DIE WIESE DER SACHEN wurde es zum Herzstück des Films. Ich wollte das Material einer Einsicht ausliefern, die alles noch einmal vom Ende her erzählt und sagt: „So war’s nun mal.“ Denn das ist ja die Macht des Erzählers, zu sagen: „So war es.“

Der Erzähler in DIE WIESE DER SACHEN ist eine Stimme am Telefon, eine Stimme aus dem Jenseits. Er ist ein abgesprungener Terrorist, der nichts mehr mit seinen Freunden zu tun haben will. Er sitzt in einem Hotelzimmer in Vancouver, nimmt Opium und erfindet Märchen.

Im Grunde ist das eine Parodie. Der Erzähler ist tot, und man kann ja auch nur erzählen, wenn man tot ist. Das ist ja der Witz: Die Geschichten kommen zustande, wenn die Ereignisse tot sind. Das Lebendige kommt als Kunstprodukt erst zustande, wenn es tot ist.

DIE WIESE DER SACHEN erinnert manchmal an einen Vampirfilm, was wohl von diesen Schatten und Gespenstern herrührt, die durch die Räume ziehen wie durch ein verwunschenes Haus.

Das ist ein Effekt, der durch den Aufnahmeprozeß entsteht, weil ja bei einer Langzeitbelichtung alles, was sich bewegt, verwischt und verschwindet, während alle Sachen sichtbar bleiben, die auf der Stelle stehenbleiben. Es ist wie bei alten Fotografien mit langer Belichtung: Wenn man sich solche Bilder aus dem vorigen Jahrhundert anguckt, tut sich ein realer Raum auf, der voll ist mit Geistern. Ich finde, das hat etwas sehr Bewegendes: Du siehst plötzlich Geister in ihrer täglichen Umgebung, schließst aus deiner Situation auf ein Vergangenes und erlebst, wie Geschichte vor den eigenen Augen zerfällt.

Mit der Trilogie NORMALSATZ, DIE BASIS DES MAKE-UP und DIE WIESE DER SACHEN haben Sie sich zwischen alle Sessel einer möglichen Zuordnung gesetzt. Das ist kein klassisches erzählerisches Kino, hat aber doch viele narrative Elemente und inszenierte Spielszenen. Auf der anderen Seite gehört das nicht mehr zum reinen Avantgardefilm, obwohl es auch viele Momente von ihm wieder aufnimmt.

Mit NORMALSATZ kam bei mir der große Bruch mit dem „Avantgarde“-Film. Viele Leute, die meine früheren Arbeiten geschätzt haben, mochten das nicht, weil es in einen psychologischen Bereich hineinging. Mit DIE BASIS DES MAKE-UP ist das dann noch weiter abgedriftet. Und zugleich wurde dieses verquast Deutsche und nahezu Norddeutsche, was in den neuen Arbeiten drinsteckt, immer ausgeprägter. Vielleicht ist damit eine bestimmte Internationalität verschwunden, oder negativ gesagt: das rein Visuelle und Unverbindliche. Die Filme sind eigentlich aus sich heraus entstanden, wie organische Teile, die in einem Prozeß zusammenwuchsen, ohne daß dahinter eine große Absicht stand. Die Idee war, sich dem gesammelten Material auszusetzen und danach zu suchen, was denn da eigentlich erzählt wird, auch ohne daß ich es als Macher intendiert oder überhaupt mitgekriegt habe. So eine Szene liegt manchmal zehn Jahre zurück, und plötzlich kann man mit ihr etwas anfangen.

Eine Voraussetzung Ihrer Arbeitsweise ist, daß sie immer selbst für die Kamera verantwortlich sind. Sie haben einmal erwähnt, Bildermachen sei wie Denken, und das überläßt man besser auch nicht den anderen.

Ja, denn durch diese minimalen Verschiebungen des Kamerawinkels oder der Bildfläche, die du siehst, also durch die Arbeit der Fotografie, bringst du die Welt überhaupt erst zusammen. Dadurch verdichtet sich erst, wie du den Raum spürst, in welchem Verhältnis die Dinge zueinander stehen, wie du die Nasenspitze im Vordergrund mit einer Schublade im Hintergrund zusammenbringst. Das ist im Grunde alles sogenannter Inhalt, und ich kann mir nicht vorstellen, daß mir jemand diese Arbeit abnimmt.

Sie nennen Kameraarbeit eine „Projektion von Blicken“ oder eine „mit Hilfe der Dinge in die Welt gespiegelte Entscheidung des Blicks“.

Ja, das ist ja genau, was stattfindet. Es ist eine aktive Tätigkeit. Ich mache das auch, wenn ich zeichne: Man guckt die Zeichnung aufs Papier. Und wenn ich drehe, habe ich eine bestimmte Materialität vor mir und baue den Raum im Sehen. Ich glaube, durch die Kamera zu schauen, ein Bild zu gestalten, das hat sehr viel mit Architektur zu tun. Nehmen wir diesen Raum,. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, davon eine Aufnahme zu machen. Wie kommt es, daß ich sofort hingehen könnte und sagen: „Dieser Ausschnitt ist es!“? Der narrative Film bezieht sich auf die Vorstellung einer Vertikal/Horizontal-Fotografie, ausgerichtet an den Gesetzen der Schwerkraft. Damit wiederum hängen bestimmte Anschlußregeln zusammen, wie Bilder zu verbinden seien, um die Illusion eines Raum/Zeit-Kontinuums zu erzeugen. Wenn ich jetzt aber anders in den Raum hineinfotografiere, strahlenförmig, ohne die Achse an der Schwerkraft, also Rahmen und Horizont, zu orientieren, kann ich Dinge zusammenschneiden, die sonst nicht zu verbinden wären. All diese komischen Gesetzmäßigkeiten gehen den Bach runter, und es wird sehr interessant.

Wie schaut das in diesem Fall aus? Wie nehmen Sie ein Bild auf, wie bauen Sie eine Szene?

Wenn ich eine Szene drehe, versuche ich mich mit der Kamera in sie hineinzuschrauben. Sagen wir, da sind drei Personen an einem Tisch, dann habe ich das Gefühl, daß ich mich wie über die Windungen eines Schneckenhauses dem Zustand annähere, um den es geht. Es gibt da nicht den Master-Shot, der sowieso schon alles abdeckt, und dann einen Ranschnitt, damit es ein bißchen interessanter wird, wie im klassischen Spielfilm. Es hat eher mit dem Aufbau von Zellen zu tun, wie ich mir eine Szene erarbeite. Aber wenn das Einzelbild nicht richtig komponiert ist, wenn da irgendetwas nicht stimmt, dann hat man eben was im Film drin, das ihn, wie aus einer Zelle heraus, zerfrißt. Aber all das Gerede über „schräge Kamera und gekippte Bilder“ in meinen Filmen ist Blech. Es ist einfach ein Bild, das man sich anguckt, und man muß nicht gleich unruhig im Kinosessel herumrücken und versuchen, den Kopf schief zu halten.

Das ironische Motto, das über dieser Trilogie steht, heißt: „Jedes Jahrzehnt hat seinen eigenen Zugang zum Himmel“. Was wäre dieser Zugang gewesen?

Das ist wieder so ein Witz auf die Geschichte. Für mich waren die 70er Jahre total verquast und ideologisch verbohrt. Ich bin froh, daß das vorbei ist. Diese Ekstase an Jugendlichkeit, wo man alles besonders ernst nahm und dachte, da ist alles passiert. Das ist der letzte Blödsinn. Da ist gar nichts passiert.

Credits

Buch, Regie, Kamera und Schnitt
Heinz Emigholz
Mit
Eckhard Rhode, Wolfgang Müller, Andreas Coerper, Hilka Nordhausen, Klaus Dufke, Hannes Hatje, John Erdman, Claus-Wilhelm Klinker, Holger Wobker, Bernd Skupin, Bernd Broaderup, Marko Lakobrija, Jürgen Behrendt, Sheila McLaughlin, Lynne Tillman, Marcia Bronstein, Käthe Kruse, Nikolaus Utermöhlen, André Lützen, Kay Borowietz, Peter Ott, Olaf Munir Abdel-Al, Peter Blegvad, Silke Grossmann, Cynthia Beatt, Christoph Derschau, Reinhard Wilhelmi, Ueli Etter, Heinz Emigholz, Petra Nettelbeck, David Marc
Licht
Axel Schäffler, Heinz Emigholz
Originalton
Alfred Olbrisch, Vincenz Nola
Mischung
Stephan Konken
Produziert von
Pym Films

Kinoverleih-Infos

Verleihkopien
DCP (2K, 25fps, 5.1)
Blu-ray Disc
16mm
Bildformat
16mm, 1:1,37
Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Werbematerial
Poster
Lizenzgebiet
Weltweit