Der Zynische Körper
D 1991, 89 min
Für eine Gruppe von Künstler_innen wird das Sterben eines Freundes zur Konfrontation mit dem eigenen Überleben. DER ZYNISCHE KÖRPER untersucht die vielfältigen Beziehungen zwischen den auf Ewigkeit zielenden Baukörpern einer monumentalen Architektur und dem in seiner endlichen Lebenszeit gefangenen menschlichen Körper.
Synopsis
Fünf Menschen blättern in den Notizbüchern des verstorbenen Lektors Roy, der ihr Freund war, und rekonstruieren dabei ihre gemeinsame Vergangenheit: der Schriftsteller Carl, seine Mitbewohnerin, die Photographin Liza, der Architekt Jon, für den Liza photographiert, der Zeichner Fred, mit dem Carl Situationen seines Romans durchspielt, und die Übersetzerin Bela, die Freudsche Versprecher sammelt.
Carl hat Probleme beim Schreiben. Aus seiner Romanfigur entwickelt sich im Fortgang der filmischen Handlung eine reale Person, die immer bedrohlicher in sein Leben eingreift. Der Lektor Roy unterstützt seinen Autor Carl, ist aber von einer schweren Krankheit gezeichnet. Um seinen Schwierigkeiten zu entgehen, begleitet Carl Jon und Liza auf eine Architektur-Reise nach Spanien. Bela und Fred bleiben zurück und müssen sich mit Roys Verfall auseinandersetzen. In Barcelona erreicht die Reisenden die Nachricht von Roys Tod.
Pressestimmen
In Emigholz’ Bildern, für die er als sein eigener Kameramann Sorge trägt, wird die Geburt des Kinos aus der Photographie auf eine Weise bewahrt, die man nur noch selten sieht. Man staunt über die Präzision der Kompositionen und noch mehr über den Schein der Absichtslosigkeit, den sie erzeugen. (Peter Körte, Frankfurter Rundschau, 09.01.1992)
In Hamburg, auf dem Kölner Dom und vor Gaudís Kathedralenbau La Sagrada Familia, auf der Erde und im Himmel, spielt Heinz Emigholz’ komplexer, toller, witziger, packender Maler-Dichter-Philosophie-Sex-Film Der Zynische Körper. Er handelt vom Zusammenhang zwischen Bauten und Körpern und Landschaften, zwischen philosophischen Texten und Daliah-Lavi-Schlagern wie Wär’ ich ein Buch zum Lesen. Er erzählt vom Dichten und vom Sammeln, von der Liebe zwischen Bisexuellen, Heteros und Schwulen, und vom Tod. Komisch wirkt das, und dann immer tragischer. (Hans Schifferle, Kölner Stadtanzeiger, 01.03.1991)
Visuelle Grundlagenforschung als sinnliches Vergnügen. Vor allem die Fotografie von Architektur wird zum optischen Ereignis. Dome, himmelstürmende Ewigkeit in Stein, monumental, sakral, dauerhaft. Subtile Korrespondenzen organischer Formationen in den Pyrenäen mit der imponierenden, etwas abstrusen Kathedrale La Sagrada Familia von Antonio Gaudí in Barcelona. Daneben postmoderne Scheußlichkeiten, z.b. von Riccardo Bofill in Nordspanien und in Marne-la-Vallée bei Paris; dem Satiriker Emigholz dienen sie als Kulisse fürs Paradies. Die ungewöhnlichen Kameraperspektiven, die kühnen architektonischen Erkundungen, die Grenzverschiebungen zwischen Realität und Imagination, auch die nachdenkliche Tristesse des Films provozieren Tagtraum-Atmosphären, die angenehme Unsicherheit von Zwischenzonen. Man ahnt Absturzgefahr, und Angstvisaionen gewaltsamer Todesstürze gibt es gleich mehrfach. Seit zwanzig Jahren eifert Emigholz, wie jeder anständige Experimentalfilmer, gegen das traditionelle narrative Kino; er examiniert das etablierte ästhetische Vokabular, propagiert neue Sehweisen und Bildsprachen. Selten geschah das so kreativ und so kulinarisch.“ (Wolf Donner, tip 2/1992)
Mit der Auflösung der für zweite Natur genommenen Traditionen des narrativen Films mit seiner zentralperspektivisch eingerichteten Illusionskonstruktion zugunsten eines radikalen Konstruktivismus ist Heinz Emigholz’ Film DER ZYNISCHE KÖRPER befaßt. Die Konstruktion von Kunstfiguren, die ihre Schöpfer als wirkliche zu verfolgen beginnen, dieser uralte romantische Mythos vom Übergang zwischen zwei Welten ist für Emigholz der spielerische Ausgangspunkt zur radikalen Überführung verschiedener filmischer Konstruktionsformen. Die erste Einstellung ist bereits so eingerichtet, daß die Raumperspektive keinen Illusionsraum mehr eröffnet, der Zuschauerort nicht der ist, der im Bild mündet, sondern das Bild als rätselhafte und nicht auflösbare Konstruktion dem Zuschauerblick entgegenstellt. Emigholz hat seinen Film ganz auf die Dezentrierung der Perspektive gerichtet, und so bleibt es nicht zufällig, daß die Zentralen kultureller Herrschaft, die Kathedralen der Zentralperspektiven die räumlichen Körper bilden, an denen sich Emigholz abstößt. Der Kölner Dom, die Gaudí-Kathedrale in Barcelona werden von Emigholz’ Kamera dekonstruiert in ihrem Herrschaftsgestus, in ihrer Fundamentalität.. Aber Emigholz fügt seinem Film auch ein Stück Religionskritik ein: Die Kirchenväter einer Sohnesreligion werden zu den düsteren Patriarchen, gegen die sich die Söhne am Ende stellen, die ans Kreuz geschlagen werden: Homosexualität ist die Häresie einer Sohnesreligion. Emigholz schreibt seinem Film die homosexuelle Phantasie als Restnarrativ ein, aber gleichzeitig zieht er daraus die Spannung zum radikalen Konstruktivismus seiner eigenen Kamera. DER ZYNISCHE KÖRPER mit seinen Bilderwitzen, seiner optischen Kritik und seinen komplexen Grenzüberschreitungen zwischen optischer und phantastisch-illusionärer Projektion ist sicher einer der komplexesten Beiträge zu einer visuellen Geschichte der Kultur und damit des Films, der viele Fragen an andere Filme mitstellt. (Gertrud Koch, Frankfurter Rundschau, 19.02.1991)
DER ZYNISCHE KÖRPER ist eine Art szenischer Essay mit verteilten Rollen, zugleich Erzählung und Kommentar. Jede Szene, jede Unterhaltung jede Einstellung hat ihr eigenes Thema, ihre Bildkonstruktion und ihre Sprache. Durch das Tor der Erzählung fallen so Horden von poetischen und polemischen Sätzen, von realen, phantastischen und entlegenen Bildern ein. Unter den Bildern dieses Films sind einige der schönsten, die man in den letzten Jahren gesehen hat. (Bernd Skupin, VOGUE, 5/1991)
Der Film kombiniert Kulturreisen, in deren Verlauf Emigholz verblüffende architektonische Funde macht, mit dem Abschied vom Leben. Bauwerke werden zu Zeichen der Dauer, der Gleichgültigkeit, während der Mensch zumindest hier einen skandalösen Tod erleidet. Witz im besten Wortsinne hat dieser gespielte Essay. (Wilfried Geldner, 21.02.1991)
Sie spielen die Verdammten - oder sind es. Skelettierte Leichen, skelettierte Häuser ganzer ‚verbotener‘ Städte ‚wie ausgestorbene Urviecher‘ sind ihr Arbeitsmaterial, aber ihre Gefühle sind verwunderlicherweise ebenso besetzt von den architektonischen – herrlich fotografierten – Geheimnissen alter Kathedralen; noch mehr vom phantastischen Wahnwitz eines Gaudí. (Karena Niehoff, Tagesspiegel, 19.02.1991)
Zwischen Scherz, Ernst, Satire und tieferer Bedeutung changiert das Wort. Es scheint sich dem Zugriff zu entziehen. Halt bietet die aktive Photographie. Sie ist schöpferisch und schön und dem Wort voraus. (Dietrich Kuhlbrodt, epd film, 1/1992
Architekturfotografie, Kölner Dom, Gaudís Sagrada Familia und während im Off ein Text zur Ideologie der Ununterscheidbarkeit von Struktur und Verzierung gesprochen wird, reproduziert der Film in seiner Verweigerung des architekturtouristischen Blicks genau diese Vermischung, löst die Struktur auf im Ornament aus Schwarz und Weiß, oder umgekehrt: kehrt die Struktur des Baus in Richtung Bild, löscht die Schwerkraft, löscht den Sinn des Baus, will Fotografie. (Ekkehard Knörer, jumpcut)
Preise und Festivals
- Berlinale Forum 1991
- San Sebastian 1991
- Viennale 2001
- BAFICI Buenos Aires 2004
Credits
Buch, Regie und Kamera
Heinz Emigholz
Mit
Klaus Behnken, Eckhard Rhode, Wolfgang Müller, Kyle deCamp, Carola Regnier, John Erdman, Bernd Broaderup
Schnitt
Renate Merck
Schnittassistenz
Yelka Lange
Musik
Nikolaus Utermöhlen
Art Director
Ueli Etter
Bauten und Ausstattung
Ueli Etter, Detlev Niebuhr
Lichtgestaltung
Axel Schäffler
Ton
Alfred Olbrisch
Tonassistenz
Michael Janssen
Mischung
Stephan Konken
Regieassistenz
Andreas Senn
Produktionsmanagement
Frieder Schlaich
Produktionsassistenz
Andre Lützen, Andreas Brachwitz
Produziert von
Pym Films
Mit Unterstützung der
Filmbüros in Hamburg und Nordrhein-Westfalen
In Zusammenarbeit mit
WDR (Alexander Wesemann) und NDR
DVD-Infos
Extras
Bonus Audio CD mit Original-Filmmusik von Nikolaus Utermöhlen, Aufnahmen des Premieren Chors, „Film Portraits“ von Wilhelm Hein, Fotoschau, Audio Kommentar von Emigholz und Schlaich, 16-seitiges Booklet
Sprache
Deutsch, Englisch
Untertitel
Englisch
Ländercode
Code-free
System
NTSC / Farbe + s/w
Laufzeit
89 min + 20 min Extras
Bildformat
4:3
Tonformat
DD 2.0
Inhalt
Softbox (Set Inhalt: 2), 16-seitiges Booklet
Veröffentlichung
21.8.2009
FSK
Ab 12 Jahren
Kinoverleih-Infos
Deutscher Kinoverleih
Arsenal – Institut für Film und Videokunst
Verleihkopien
35mm
Bildformat
35mm, 1:1,37
Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch, Spanisch
Lizenzgebiet
Weltweit
FSK
Ab 12 Jahren