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The Airstrip

D 2014, 108 min

Von Berlin nach Berlin: eine Architekturreise ins Bodenlose.

Synopsis

Man stelle sich einen Luftraum vor, in dem eine Bombe abgeworfen wurde, die noch nicht ihren Explosionsort erreicht hat. Sie fliegt auf ihn zu und ist nicht mehr zu stoppen. Die Zeit zwischen dem Abwurf und der Explosion der Bombe ist weder Zukunft – denn die unweigerliche Zerstörung hat ja noch nicht stattgefunden – noch ist sie Vergangenheit, da diese unweigerlich im Begriff ist, zerstört zu werden. Die Flugzeit der Bombe beschreibt so das absolute Nichts, die Stunde Null, bestehend aus all den Möglichkeiten, die es im nächsten Moment nicht mehr gibt. Eine Geschichte also, die aufhören wird, bevor sie angefangen hat, und die hier aus Trotz erzählt wird: Eine Architekturreise von Berlin über Arromanches, Rom, Wroclaw, Görlitz, Paris, Bologna, Madrid, Buenos Aires, Atlantida, Montevideo, Mexico City, Brasilia, Tokyo, Saipan, Tinian, Tokyo, San Francisco, Dallas, Binz und Mexico City nach Berlin – ins Bodenlose.

Nach PARABETON und PERRET IN FRANKREICH UND ALGERIEN ist THE AIRSTRIP der 3. Teil der Serie AUFBRUCH DER MODERNE. 

Streaming-Info

Der Film ist über unseren Vimeo-Kanal zum Leihen oder Kaufen erhältlich.
Sprache: Deutsch

Pressestimmen

In seinem neuen Film spürt Heinz Emigholz Verbindungslinien auf, die vom Betonkult der Moderne bis zur, so der Filmemacher, „Betonkultur des Krieges“ reichen. Der letzte bedeutende Bilderanalytiker des deutschen Kinos war nie funkiger. (Andreas Busche, epd film, 22.09.2014)

„The Airstrip“ wird zum globalen Road Movie, zum Reflexions- und Assoziationsteppich, der schwerelos wird und zum Flug anhebt. (Claus Löser, Film Dienst 20/2014)

Essayistischer Architektur- und Kunstfilm von Heinz Emigholz, in dem er rund um den Globus der klassichen Moderne in der Architektur nachspürt und mit pointierten Off-Kommentaren über die ökonomisch-materiellen und ideologischen Bedingungen der Bauwärke räsoniert - eine Art „Best of“ von Emigholz’ weitgespanntem Projekt „Photografie und jenseits“. Sehenswert. (Film Dienst 20/2014, Bewertung der Filmkommission)

Einer der schönsten Dokumentarfilme dieser Filmfestspiele stammt aus einer Künstlerwerkstatt. Heinz Emigholz war bis vor kurzem noch Professor für Experimentelle Filmgestaltung an der Berliner Universität der Künste. In „The Airstrip - Aufbruch der Moderne, Teil III“ erschloss er im „Forum“-Programm höchst bemerkenswerte Architekturen aus Deutschland, den USA und Japan, vor allem aber aus Lateinamerika: aufgenommen aus jeweils sorgfältig ausgesuchten Blickwinkeln. Ein Fest für die Sinne. (Manfred Eichel, Kunstzeitung)

Für „The Airstrip“ ist Emigholz bis auf die Marianen gereist, jene Inselgruppe im Pazifik, die im Zweiten Weltkrieg von herausragender strategischer Bedeutung war. Er filmte dort die Betongruben, aus denen die beiden Atombomben für Hiroshima und Nagasaki in die Flugzeuge verladen wurden; in einer Entsprechung suchte er später auch den Strand von Aramanche in der Bretagne auf. Dort befinden sich am Strand zwei riesige Betonstrukturen, die von den Alliierten im Zweiten Weltkrieg als künstliche Häfen angelegt wurden und nun dem Spiel von Ebbe und Flut preisgegeben sind. Mit dieser „Betonkultur des Krieges“, wie Emigholz es nennt, taucht eine explizierte historiographische Signatur in seinem Werk auf, die für die Zukunft noch einiges verspricht. (Bert Rebhandl, frieze d/e, 2014)

Der Filmemacher (Heinz Emigholz) und die Band (Kreidler) passen so gut zueinander, weil sie beide dasselbe Ziel verfolgen: den Raum ausloten in Momentaufnahmen, und dabei ohne Kompromisse die eigene Ästhetik verfolgen. (Tina Manske, CULTurMAG, 2014)

Angriffslustig, fast wütend klingt der sparsam und prägnant eingesetzte Kommentar in Heinz Emigholz’ jüngstem Dokumentar-Essay „The Airstrip“, in dem er Bau- und Kunstwerke in einen Zusammenhang mit zeitgeschichtlichen Ereignissen des letzten Jahrhunderts setzt. Einerseits stellt Emigholz seinen Film dabei in den ästhetischen Kontext seiner Architekturfilme, andererseits werden aggressiv ungewohnte Wege beschritten: Überblendungen, Spezialeffekte und Musik von Kreidler. (Lars Penning, Tip Berlin, 2014)

Preise und Festivals

- Berlinale Forum, 2014
- Copenhagen Architecture Festival, 2014
- Festivales de Buenos Aires, 2014
- IndieLisboa International Film Festival, 2014
- Jeonju International Film Festival, 2014
- Subversive Film Festival Croatia, 2014
- Seattle International Film Festival, 2014
- Jerusalem International Film Festival, 2014
- Milano Design Film Festival, 2014
- Architecture on Film & City Visions at the Barbican London, 2014
- Viennale – Vienna International Film Festival, 2014
- Seville Film Festival, 2014
- CGAI-Filmoteca de Galicia, the film archive of Galicia, FIAF Associate, 2014
- CulturArts – Generalitat Valenciana (Valencia Film Archive), 2014
- Filmoteca de Andalucía, 2014/2015
- Migrating Forms Film Festival at BAMcinématek New York, 2014
- Centro Cultural, Goethe-Institut São Paulo, 2015
- Instituto Moreira Salle, Goethe-Institut Rio de Janeiro, 2015
- Chicago Architecture Biennial, 2015
- Tabakalera – Centro Internacional de Cultura Contemporánea, 2016
- Counter Gravity - Heinz Emigholz - Retrospektive, HKW Berlin, 2022

Weitere Texte

Eine Reise nach Saipan
Heinz Emigholz

Ich kann den Zeitpunkt genau benennen. Es war am Nachmittag des 23. Oktober 2010, an dem ich mich nach all den Jahren entschloß, auf die Nördlichen Marianen zu fliegen, nach Saipan, um von dort nach Tinian überzusetzen. Wem nicht nur der Name Pearl Harbour etwas sagt, sondern auch bei der Nennung von Midway, Wake, Marcus, Marshall, Kwajalein, Eniwetok, Gilbert, Truk, Iwo Jima, Attu, Kiska, Salomonen, Bougainville, Rabaul, Ulithi, Guadalcanal, Espiritu Santo, Guam, Palau, Mindanao, Luzon, Tarawa und Okinawa zusammenzuckt, wird diesen Entschluß verstehen. Ich gestehe, daß ich mein Leben der Existenz der ersten beiden Atombomben verdanke und – als Deutscher – einem japanischen Fanatismus, der zu ihrem Abwurf über Japan führte. Dort aber, wo alles kulminierte, im westlichen Pazifik, wollte ich jetzt sein. Ich kam mir vor wie eine Schildkröte, die Tausende von Meilen an ihren Geburtsort zurückschwimmt, um ihre Eier im Sand zu vergraben – an dem Strand, an dem die vielen Soldaten sterben mußten, denen ich mein Leben und eine Kindheit im Schutz des Gleichgewichts des Schreckens verdankte.

Das Leben, wenn es denn lange genug andauert, erzählt sich leichter als Rahmennovelle. Diese literarische Form ist für die Propagierung von Sinn erdacht worden, auch wenn er als Trost nur aus fernen Echos besteht. In den 50er Jahren waren die beiden Kinos unserer Kleinstadt, das Corso und das Odeon, voll mit amerikanischen B-Movies, die von der Schlacht im Pazifik erzählten. Abwechselnd mit Fuzzy-Filmen waren diese s/w-Filme dort fast jeden Sonntag zu sehen. Die erste Konfrontation mit Anatahan von Josef von Sternberg, meinem späteren Lieblingsfilm und Lieblingsregisseur, fiel auch in diese Zeit. Das erste Antlitz eines Schauspielers, das sich nachhaltig neben dem von Al St. John als „Fuzzy“ in mein Bewußtsein eingegraben hat, war das von Lee Marvin, der in vielen dieser Filme als ruhender Pol im Schlachtgeschehen auftrat. Bei unseren Dreharbeiten auf Saipan erfuhr ich, daß Marvin als US Marinesoldat bei der Erstürmung des Mount Tapochau auf Saipan im Juni 1944 schwer verwundet worden war und dafür mit dem Purple Heart ausgezeichnet worden ist. Diese Insel hatte es in sich.

Bei den Recherchen zum Film Parabeton war ich auf das Buch The Roman Pantheon: the Triumph of Concrete des amerikanischen Bauingenieurs David Moore gestoßen. Er beschreibt darin die Zusammensetzung des römischen Zements und die Konstruktionskunst der römischen Baulegionäre. Die Website von David Moore beinhaltet noch zwei weitere Themen: Prostatakrebs von Kriegsveteranen und The Battle of Saipan, an der Moore als „Seabee“ im Juni 1944 teilgenommen hat – als einer der Pioniere des US Navy Construction Battalions, die die Flugfelder auf Saipan angelegt haben.

Am 20. Juli 2009 erschien in The New Yorker die autobiografische Erzählung Rat Beach von William Styron. Ich las sie, weil Styron mir 1990 durch Ausführungen zum „Black Dog“ – ein Begriff den Churchill für seine Depressionen gefunden hatte – in seinem Buch Darkness Visible das Leben gerettet hatte. Die Lektüre von Rat Beach war umwerfend und ausschlaggebend für meine Entscheidung vom 23. Oktober. Styron mußte im Frühjahr 1945 als zwanzigjähriger Offizier auf Saipan die Landung seiner Einheit auf dem japanischen Festland trainieren und beschreibt in dem Text seine damalige Todesangst angesichts eines zu allem entschlossenen, fanatisch verzweifelten Feindes. Und er beschreibt die dröhnenden Motorengeräusche der von der südlichen Nachbarinsel Tinian startenden B-29s, die Tag für Tag japanische Städte bombardierten. Darunter waren auch die beiden B-29-Superfortresses Enola Gay und Bockscar mit den Atombomben Little Man und Fat Man an Bord, deren Abwürfe nicht nur sein Leben retteten.

Auf meinem Rückflug von Saipan nach Tokyo erblickte ich über dem seit 2003 wieder aktiven Vulkan der nördlichen Nachbarinsel Anatahan einen Regenbogen. Ich beschloß, dort in Fortsetzung von The Airstrip den Film Anatahan II zu drehen. Außer Hütten, Höhlen und denen der Pflanzen gibt es darauf keine Architekturen. Es sei denn, man sieht auch die Menschen, die die seit 1990 unbewohnte Insel gelegentlich besuchen, als Gebaute an.


Interview zu THE AIRSTRIP
Stefanie Schulte Strathaus im Gespräch mit Heinz Emigholz

Stefanie Schulte Strathaus: An der Serie Photographie und jenseits arbeitest Du nun schon seit über 20 Jahren. Die Architekturfilme der Serie waren nie nur Filme über Architektur oder einzelne Architekten, sondern im gleichen Maße Filme über das Kino und über Dich als Autor. Über das Konstitutive der eigenen Wahrnehmung. Ihre Struktur war fast immer gleich: Chronologische Abfolge der Bilder mit Nennung der Entstehungsdaten sowohl des Bauwerkes als auch der Aufnahme. Die Bauwerke haben Deine Reiseroute festgelegt. Diesmal ist es anders: Deine Reiseroute führt Dich zu sehr unterschiedlichen Bauwerken und, wie Du es ausdrückst, ins Bodenlose. Was ist passiert? Und wie verändert das die Relationen? Welches neue Verhältnis zwischen Architektur und Kino kommt darin zum Ausdruck?

Heinz Emigholz: Der Film ist das Produkt eines lange gehegten Wunsches und einer Notwendigkeit zugleich. Es bestand die Notwendigkeit, mit den Resten bzw. Anfängen eines Filmes zum Werk von Luis Barragán umzugehen, den wir aufgrund der horrenden Bildrechte an seinem Werk nicht fortsetzen konnten. Von ihm sind nur die Objekte im öffentlichen Raum geblieben, die zu filmen man uns nicht verbieten konnte. Für mich war das ein Glück im Unglück. Die alleinige Beschäftigung mit seinem doch mehr designlastigen Werk hätte mich um eine Quintessenz in der Architekturfilmserie gebracht. Ich hatte schon immer den Wunsch, frei zu arbeiten, und schlug meinem Produzenten, Frieder Schlaich von Filmgalerie 451, vor, auf einer ausgedehnten Reise weltweit eine Liste von Architekturen oder architektonischen Ensembles zu dokumentieren, aus deren späteren Abfolge im Film sich ein weitergefaßter Sinn ergibt. Sozusagen ein Miscellanea-Film mit einer Zuspitzung, nämlich der, wie sich aus dem ideologisch-skulpturalen Kitsch des wilhelminischen Deutschlands eine Zerstörungswut entwickelte, die die ganze Welt umspannt und Architekturen schlicht in Vorkriegs, Kriegs- und Nachkriegs- bis hin zu Schuldarchitekturen eingeteilt hat. Daß Frieder Schlaich mir das mit The Airstrip – nach Parabeton und dem Perret-Film, die schon aus demselben Etat für einen einzigen Film finanziert worden waren – noch ermöglichte, spricht einerseits für unsere ökonomische Arbeitsweise und andererseits für seine Risikofreudigkeit und sein starkes, persönliches Engagement für das Langzeitprojekt. Aber auch für die Einsicht, es zu einem Abschluß bringen zu müssen, bevor wir wieder Spielfilme zusammen produzieren. Das „Bodenlose“ ist für mich der ewige Kreislauf zwischen Zerstörung und Neuanfang – pathetisch, brutal und voller Opfer. Eine Spirale des Immergleichen: Konstruktion, Katastrophe, Zerstörung, Not, Rekonstruktion, bis hin zum unfaßbar idiotischen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses im Namen einer „Tradition“, die auf Mord und Totschlag beruht. Film kann erzählen, welche endlichen Schicksale in dieser Spirale hängenbleiben.

In Zeiten des Internets erhält es eine neue Bedeutung, wenn jemand um die Welt reist, um Bilder zu machen. Wenn Du mit der Kamera ein Bauwerk erfasst, beschreibst Du das als einen Vorgang, der es ermöglicht, die unmittelbare Erfahrung von Räumen filmisch nachzuvollziehen. Ist dieser Erfahrungsraum übertragbar auf den Vorgang des Reisens in mehrere Länder? Hast Du auf dem Weg von den bisherigen Filmen der Serie hin zu THE AIRSTRIP eine Schwelle zwischen Dokumentarfilm und - ich würde es nicht Fiktion nennen, sondern Schreiben von Philosophie - gespürt?

Die Reisen und ihre Ergebnisse sind auch eine Replik auf das, was im Netz vorzufinden war oder ist. Jedes neue Medium schließt alle vorhergehenden mit ein, aber es übernimmt im gewissen Grad, jedenfalls zu Anfang, auch deren Fehler und ästhetische Normierungen. Einerseits den Kult des repräsentativen Bildes, wie er in der Architekturfotografie vorherrscht, und andererseits der des „ungestalteten“ Bildes, der in manchen Gehirnen immer noch für „Authentizität“ steht. Die subjektive Reaktion auf eine besondere architektonische Situation darzustellen, ist ein autorialer Akt und erfordert eine direkte Konfrontation mit dem Objekt, die nicht aus zweiter Hand übernommen werden kann. „Dokumentarfilm“ ist ebenso wie „Experimental-, Avantgarde, Underground-, Spiel- oder Whatever-Film“ in einem Netz unsäglicher Zuschreibungen und Definitionen gefangen, die leider zu oft einen eigenen, analytischen, und wenn Du so willst, auch philosophischen  Zugang zu den darzustellenden Situationen verhindern. Ebenso wie filmtechnische Formatfragen, die zwar ihre Bedeutung haben, aber immer auch marginal bleiben, falls man sich keiner Nostalgie verschreiben will. Diese Genres haben sich wesentlich in einem westlichen Kulturzusammenhang formiert, der beileibe nicht immer mit „Aufklärung“ gleichzusetzen ist. Da hilft auch keine Zementierung in der akademischen Welt. Die Auseinandersetzung mit anderen, örtlich und zeitlich versetzten Kulturen, die nicht die „unsrigen“ sind, überführt so manches Avantgarde-Gehabe als höheren Blödsinn. Was wir der Welt im Wesentlichen noch zu bieten haben, ist das Bewußtsein von im Kapitalismus aufgeklärten, „kritischen Kunden“.

Die radikal subjektive Auswahl der Bauwerke vermittelt zunächst den Eindruck, als würde der Autor aus dem Inneren seines Werkes heraus eine Sprengung auslösen, zunächst behutsam, später etwas lauter (auf die Musikvideos kommen wir noch zu sprechen). Doch die Liebe zum Bild bleibt dabei erhalten. Sie besteht vor allem darin, dass jede Einstellung sehr sorgfältig ausgewählt ist und lange genug dauert, so dass der Zuschauer das Bild ganz erfassen kann. Nur diesmal fügt es sich in keinen Sinnzusammenhang ein, der an den Namen eines Architekten geknüpft ist. Das, was die Bilder zusammenhält, ist nicht offensichtlich, die Bilder scheinen versprengt, und dennoch bilden sie ein Ganzes.

Die Balance zwischen Sprache und „Stille“ zu halten, war in diesem Film die größte Herausforderung. Dreh- und Angelpunkt des Projektes Photographie und jenseits war immer eine genau überlegte Kinematographie und der argumentative Einsatz dieser durchgestalteten Bildflächen innerhalb eines Filmes. Die Bilder sollen erzählen und argumentieren, und ihre Abfolge soll den Zusammenhang herausarbeiten – zwar einen außerwörtlichen Sinn, aber dennoch einen begreifbaren. Die Abfolge ist für mich zwingend, da gibt es keine beliebigen Bilder, sondern einen Fortgang des Begreifens. Und Sinn ist in diesem Film für mich die Darstellung eines Wiederholungszirkels mit den Bestandteilen Fortschritt, Besinnungslosigkeit, Terror und Neuanfang. So steht für mich denn auch der heutige Zustand der Bushaltestelle von Ulrich Müther in Binz auf Rügen – eingezwängt zwischen gigantischen WC-Bauten – für ein tragisches Finale im Umgang mit der Architekturgeschichte der Moderne.

Dieser Wiederholungszirkel findet sich innerhalb des einzelnen Werkes ebenso wie in der Serie der Filme. In THE AIRSTRIP kulminiert das nicht nur in der Heterogenität der Bilder, die mit der Homogenität in den meisten der bisherigen Architekturfilmen bricht. Auch das seltsam märchenhafte Voiceover, die plötzlich einsetzenden animierten Elemente und die Musik reißen Dein Werk aus dem Horizont der Erwartungen. Das hat eine ziemlich Sprengkraft, die Du mit dem Bild der Atombombe in Verbindung bringst. Eine eigenartig verstörende Vermischung von Kunst und Realität.

Erwartungshaltungen wären ja nur zu akzeptieren, wenn es eine Kultur der „Wissenden“ gäbe. Wir müssen uns aber die Welt immer wieder neu erzählen, weil es auf unseren Lebensspieralen auch immer wieder neue Tatsachen wie zum Beispiel die der Massenvernichtungswaffen gibt. Diese Tatsachen spiegeln immer auch den Stand der Wissenschaften wieder, also von Biochemie und Physik, und mit dem „Fortschritt“ der Waffen entpersonalisiert sich zugleich ihr Einsatz, der immer anonymer und von Zufällen geleitet wird. Daß auf den Denkmälern neben den Betongruben, aus denen auf Tinian die beiden Atombomben in die B-29s geliftet worden sind, die Namen der Bomberpiloten angegeben werden, empfinde ich als grobe Täuschung. Die Flieger wußten nicht, was sie damals transportierten. Sie nahmen vielmehr an einem durch und durch anonymisierten Menschenversuch teil. Abschreckung durch flächendeckende Zufallsbestrafungen und Kollateralschäden stand wie nie zuvor auf dem Programm. Ich sage damit übrigens keineswegs, daß diese Art, Schicksal zu spielen, schlimmer ist als ein gezielter Abwurf. Letztenendes sind die Menschen für ihre Regierungen verantwortlich, auch wenn sie nichts mit ihnen zu tun haben wollen.

Die Tatsache, dass Deine Filme die Dreidimensionalität der Architektur in die zweidimensione Fläche des Bildes übersetzen, wird einem spätestens klar, wenn Fleisch, Schinken, Kleider und Küchengeräte durchs Bild fliegen, die aussehen, als wären sie aus der Wurfsendung eines Supermarktes ausgeschnitten. Das ist fast schon Slapstick und sehr lustig. 

Sie stammen ja auch aus diesen Wurfsendungen. Mein Briefkasten ist der einzige im Haus, an dem der Aufkleber „Keine Werbung!“ nicht angebracht ist. Das Zeug ist von dort aus zuerst in meine Notizbücher gewandert und dann in den Film. Und dort vertreten sie den Kalauer „Wir sind alle Fleischstücke“, besonders im Flugverkehr. Wobei die Nebenbedeutung von Duty Free Shop ja auch nicht gerade von schlechten Eltern ist. Das ist Wilder Westen, Genuß ohne Reue.

Und plötzlich sind wir in einem Musikvideo. Zu hören ist „Moth Race“ von KREIDLER. Die Szene hat als Kurzfilm mit dem Titel „Duty Free from THE AIRSTRIP, Decampment of Modernism Part III“ in Oberhausen einen Preis für das beste Musikvideo gewonnen. Wie kam es denn zu dieser Zusammenarbeit? Und war von Anfang an klar, dass diese Arbeit und Ausschnitte aus zwei anderen, die Du mit KREIDLER gemacht hast, Eingang in Deinen Langfilm finden werden?

Nein, von vornherein war gar nichts klar. Andreas Reihse von KREIDLER hat mich Anfang 2012 gefragt, ob ich ein Video zu einem der Stücke ihres neuen Albums machen würde, weil er schon seit langer Zeit ein Fan meiner Zeichnungen war. Mit Zeichnungen ist mir nichts eingefallen, aber ich hatte gerade auf den Nördlichen Marianen diese lange Anfahrt durch den jetzigen Dschungel auf den 1945er Startplatz der beiden Atombomben gefilmt, und das KREIDLER-Stück „Rote Wüste“ paßte, meines Erachtens, bestens dazu. Nur war das Stück acht Minuten lang und meine Einstellung über zwanzig Minuten. Andreas hat dann extra für das Video eine neue Abmischung des Stückes gemacht, die mit der Länge meiner Fahrt übereinstimmte. Und das Ding läuft jetzt in voller Länge – auch als Trailer für THE AIRSTRIP – auf YouTube rauf und runter. Im Film ist davon ja nur ein kurzer Ausschnitt zu sehen. Danach fielen mir nach und nach zu allen Stücken ihres Albums „Den“ Videos ein, darunter auch „Moth Race“, aus dem Material der Flughafenpassagen in THE AIRSTRIP. Alle Musikclips zusammen bilden jetzt so etwas wie eine Mini-Retro meiner Filme.

Credits

Buch, Regie und Kamera
Heinz Emigholz
Kameraassistenz
Till Beckmann
Schnitt
Heinz Emigholz, Till Beckmann
Musik
Kreidler
Mann am Strand
Ueli Etter
Sprecherin
Natja Brunckhorst
Originalton
Till Beckmann, Heinz Emigholz, Ueli Etter, Lilli Kuschel, Markus Ruff, Christin Wilke
Tongestaltung
Jochen Jezussek, Christian Obermaier
Tonmischung
Jochen Jezussek
Postproduktion und Animation
Till Beckmann
Produktionsassistenz Europa
Markus Ruff, Alex Jovanovic, Lilli Kuschel, Luca Pisciotta, Katharina Zollner
Produktionsassistenz Südamerika
Laura Bierbrauer, Elisa Miller, Lukas Rinner, Christin Wilke
Produktionsassistenz Saipan
Ueli Etter
Produzent_innen
Frieder Schlaich, Irene von Alberti
Produziert von
Filmgalerie 451
In Koproduktion mit
WDR (Reinhard Wulf)
Gefördert von
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien - BKM, Medienboard Berlin-Brandenburg, Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein

DVD-Infos

Extras
Kurzfilm ZWEI MUSEEN (18 min) mit Gebäuden von Samuel Bickels und Renzo Piano, Kapitel-Navigation, Presseheft
Sprachen
Deutsche und englische Sprachfassung
Ländercode
Code-free
System
NTSC / Farbe
Laufzeit
108 min + 18 min Extras
Bildformat
16:9 anamorph (Blu-ray: 1080p)
Tonformat
DD 5.1 + 2.0
Inhalt
Softbox (Set Inhalt: 2), DVD und Blu-ray Disc zum Film
Veröffentlichung
27.02.2015
FSK
Ohne Altersbeschränkung

Kinoverleih-Infos

Verleihkopien
DCP (4K, 25fps, 5.1)
Blu-ray Disc (HD)
Bildformat
HD, 1:1,66
Sprache
Deutsch, Englisch
Untertitel
Englisch
Werbematerial
A1-Poster
Lizenzgebiet
Weltweit
FSK
Ohne Altersbeschränkung