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Nicht nichts ohne Dich

D 1985, 88 min

„Sie ist reich und will arm sein. Sie ist auf dem besten Weg, sie macht Filme.“ Entlarvendes (Gesellschafts-) Portrait – entzündet an der Gegenwart und in aufregendem Schwarzweiß gefilmt!

Synopsis

Martha lebt mit ihrem kleinen Sohn in Hamburg. Sie macht Filme. „Um näher am Puls der Gesellschaft zu sein“, ist sie mit einer portugiesischen Familie zusammengezogen. Teresa hilft Ausländer*innen bei Schwierigkeiten mit der Behörde. Martha versucht indessen eine Liebesgeschichte mit Alfred, der die Dinge nicht so recht im Griff hat. Ende dreißig, studiert er noch immer Architektur, und bei Martha läßt er auch nicht locker. In dem Alltag der drei spiegeln sich bundesdeutsche Realitäten, spontan eingefangen und mit sarkastischem Witz gelegentlich bis ins Absurde parodiert: Im bürokratischen Chaos der Ausländerbehörde werden in administrativer Fehlschaltung Schicksale vertauscht. Und der Vorstand eines Privatsenders mit ausgeprägtem Sendungsbewusstsein, tritt ohne Angst vor Oberflächlichkeit gegen die Spielverderber der Kulturkritik an. Dazwischen besucht eine Redakteurin von Frauen und Film Martha immer wieder in ihrem Hamburger Altbau und stellt Interview-Fragen an sie als Frau, die filmt: Frauensolidarität? Weibliche Ästhetik? Filmtheorethische Begründungen? Zu einer eindeutigen Position will sich Martha nicht wirklich hinreißen lassen. Und da weder sie, noch Pia Frankenberg ein Ende mit Knalleffekt liebt, treffen sich Martha und Alfred schließlich in einem offenen Happy-End. Er auf der Suche nach Halt, sie auf der Suche nach Problemen.

„Nicht nichts ohne Dich“ war nach den beiden Kurzfilmen „Die Sehnsucht nach dem ganz anderen“ und „Der Anschlag“ Pia Frankenbergs erster Langfilm, mit dem sie 1986 den Max Ophüls Preis gewann. Im Film changieren die Wortwechsel zwischen temporeichem Schlagabtausch und suchender Stammelei. Dabei erhält sich gerade dort, wo der Protagonistin statt reibungslose Dialogzeilen ein stetiges Neu- und Umformulieren zugestanden wird, der Reichtum des Unausgegorenen, der die Gegenwart, die Frankenberg festgehalten hat, bis heute aufregend ungeschliffen erscheinen lässt. Fast ein Kontrastprogramm zum (programmatisch) mit sich selbst nicht immer einigen Feminismus, und irrsinnig komisch, ist Alfred Edels Auftritt als Experte der Neuen Medien, der vor allem und zunächst von sich selbst überzeugt ist. „Nicht nichts ohne Dich“ ist großes Kino in Schwarzweiß gefilmt, das an die frühen Filme der Nouvelle Vague erinnert und auch deren Geist versprüht: diese ganz spezifische Mischung aus Empörung, filmischem Können und Leichtigkeit!

Pressestimmen

Pia Frankenbergs Spielfilmdebüt ist das ironische Selbstportrait einer deutschen Filmemacherin. (...) Es ist keines der vielen, lieben, braven, angepassten, lauwarmen deutschen Kinodebüts, nicht die große Publikum-Ranschmeiße oder die stromlinienförmige Hollywood-Imitation im Provinzformat, sondern eine nützliche Irritation, konsequent persönlich und strikt gegen die ausgeleierte narrative Filmtradition; die, sagt sie, langweile sie nur. In seinen besten Momenten, wo er radikal die subjektive Erfahrungen der Autorin umsetzt, dokumentiert der Film blubbernden Zeitgeist und steckt, so irgendwie, voller echt schwerwiegender Probleme. — Wolf Donner, Der Tip, 7/86

Die deutschen Filmemachern so selten gelingende Leichtigkeit: Pia Frankenbergs Langspielfilmdebüt „Nicht nichts ohne Dich“ erreicht sie gleich in einer schon verblüffenden Perfektion. In ihrer kleinen unaufwendig von Thomas Mauch schwarz-weiß mit einer Handkamera dokumentarisch gedrehten, autobiografischen Komödie, die Woody Allen sehr verwandt ist, nimmt die 28jährige Autorin mit feiner Ironie in Hamburger Großstadtimpressionen vieles auf die Schippe: Die Film- und Medienszene im allgemeinen und Frauen-Filme im besonderen, bürokratischen Umgang mit Ausländern, Beziehungsneurosen unter Intellektuellen. Das verbreitet, auch musikalisch swingend (mit Pia Frankenbergs eigener Stimme) gute Laune, ist ein Vergnügen, wie es im Kino leider so selten geworden ist. — Heinz Kersten, Der Tagesspiegel, 02.02.1986

Pia Frankenberg kann erzählen, in Bildern und in skizzierten Details mehr als in ausgefeilten intellektuellen Texten, die ihr vermutlich ihre ganze Eigenart und Eigenwilligkeit nehmen würden. Sie versteht sich aufs Mosaik, auf das Zusammensetzen wesentlicher, charakteristischer Minimalien und scheinbarer Beiläufigkeiten. „Aber gerade das“, sagt Pia Frankenberg, „hat mir auch Vorwürfe einiger Leute eingetragen, die sagen, das ist ja reine Collage.“ Es liegt ihr, oder lag ihr nichts an einer durchgehenden Erzählung. — Walter Deppisch, Die Welt, 25.02.1986

Junge Deutsche Filmemacher haben es ja nicht leicht heutzutage. In jener längst vergangenen Zeit, als Opas Kino eben verstorben war, da durften die jungen Filmer unbeschwert basteln, spinnen, experimentieren, und ihr Publikum blieb trotzdem neugierig. Die Jungen heute hingegen müssen sich behaupten gegen Papas Kino, das sich immer noch jugendlich gibt. Die Gegenwart dehnt sich, lehrt Alexander Kluge. Die meisten jungen Filmer leisten Widerstand durch Anpassung an Opas Kino. Pia Frankenberg aber steht weit abseits dieser Strömungen. Sie filmt, als stünde die Erfindung des Kinos noch bevor, und als werde die Erfinderin bestimmt Pia Frankenberg heißen. So stachelt sie unsere Neugier an. — Claudius Seidl, 19.4.1986

Pia Frankenberg huldigt nicht nur dem höheren Blödsinn, sondern nimmt auch treffend deutsche Wirklichkeit aufs grobe, schwarz-weiße Korn – etwa wenn eine stille türkische Familie beredt von einem bundesdeutschen Beamten in den Westen hofiert wird und die eigentlich erwartete DDR-Familie derweil in der Türkei frustriert ihren Mokka schlürft. Die „Sinnlichkeit des Zusammenhangs“ hat Alexander Kluge einst seine erhellenden Montagen genannt. In Pia Frankenberg hat der Autorenfilmer eine kluge Schülerin gefunden. — Der Spiegel, 1986

In „Nicht nichts ohne Dich“ bilanziert Pia Frankenberg (...) auch den Bewusstseinszustand ihrer Generation, die für die Revolutionäre von der Uni zu jung und für die Punks von der Straße zu alt war. Zerrissenheit formt ihre Gestalten, ihren Film, von dem die Regisseurin sagt, „er ist nicht episch konstruiert, hat nicht einen Anfang, nicht ein Ende“. Er ist eine Nahaufnahme des Strandguts, das die großen Bewegungen der letzten zwei Jahrzehnte zurückgelassen hat: Lakonisch werden die Reste der Studentenrevolte und der Frauenbewegung zusammengekehrt. Das ist komisch und traurig zugleich: Zum Beispiel Klaus Bueb als Jean-Luc Godard, der als Woody Allen verkleidet, als Studioführer arbeitet. Seine Wahrheit gibt der Film selbst preis: „So hat man eine Vorstellung darüber, wie es gestern war und dass das Gestrige wirklich überholt ist. So kann man die Zukunft einläuten.“ —Karsten Krumfuss, NDR Magazin, 1989

Preise und Festivals

- Internationale Filmfestspiele Venedig, Woche der Kritik 1985
- Hof, Internationale Filmtage 1986
- Berlin IFF 1986
- Toronto IFF 1986
- Filmfestival Max Ophüls Preis 1986 „Bester deutschsprachiger Nachwuchsfilm“

Weitere Texte

Eine gewisse Anarchie
Zitty-Gespräch mit Pia Frankenberg von Hans-Jürgen Jagau, zitty 6/86

Zitty: Eine Zeile aus Erich Frieds Liebesgedicht „Ohne Dich“ ist der Titel des Films, soll der Titel Leute ins Kino locken?

Pia Frankenberg: Für mich symbolisiert der Titel eine Mischung aus Ratlosigkeit und einer gewissen Anarchie. Bei so einem Film, denke ich, ist der Titel auch nicht das Instrument, um Publikum anzulocken, das wird eher über Mundpropaganda und Presseecho funktionieren. Auch der Effekt der Verwirrung, also keiner weiß, was es soll, war damit nicht beabsichtigt.

Wie ist es, in vielen Kritiken mit Woody Allens „Stadtneurotiker“ verglichen zu werden?

Mein Gott, das ist mir letzten Endes wurscht. Entweder mag man den Film oder nicht. Wenn man ihn zu sehr mit etwas vergleichen könnte, käme das ja auch dem Plagiat sehr nahe, und das hätte ich nicht so gern.

Aber als Inspiration?

Da gibt es aber auch eine Menge anderer Leute. Das ist natürlich vor allem die Thematik, die Parallelen aufweist: das Urbane, zwei Leute, chaotisches Leben. Mich hat immer die französische Nouvelle Vague fasziniert und selbstverständlich die Filme von Alexander Kluge.

Wie ist das mit dem Erfolg, wie wurde so schnell ein Verleiher gefunden?

Das hat ja doch etwas gedauert. Der Film lief zuerst im letzten Herbst in Venedig, und erst nach Hof habe ich dann den Verleih gefunden. Der Max Ophüls Preis war sozusagen eine Zugabe obendrauf, zwei Wochen vor dem Start in Hamburg.

Haben eigene Erfahrungen mit feministischer Filmkritik zu dem Rahmen des Films angeregt, wie viel ist überhaupt autobiografisch?

So ähnlich habe ich das schon erlebt, da mich diese theoretische Frage nicht sonderlich interessiert, habe ich das persifliert, und bislang ist das auch bei Frauen humorvoll aufgenommen worden. Aber insgesamt sind nur 15 bis 20 Prozent des Films autobiografisch. Die parodistischen Szenen über Privatfernsehen mit Alfred Edel zum Beispiel sind rein fiktiv, wie vieles andere auch.

 

Bericht von der Verleihung des Max-Ophüls-Preises
Helmut Schödel, 31.01.1986

Bis vor einem Jahr war das „Gloria“ Saarbrückens größtes Kino. Aus dem „Gloria“ wurde eine Diskothek. In der Disco wurde der Ophüls-Preis vergeben. Erst sang Ortrud Beginnen (live), dann Grace Jones (vom Band). Eine halbe Stunde vor Mitternacht hatte sich die fünfköpfige Jury endlich entschieden. Der Gewinner war eine Gewinnerin: Pia Frankenberg bekam für ihr Kino-Debüt „Nicht nichts ohne Dich“ den Ophüls-Preis. Der beste Film des Wettbewerbs war Sieger: eine herrliche Schwarzweiß-Komödie über die Stadt und die Neurotiker, die sie bewohnen. Wer lebt, improvisiert. Davon handelt der Film. Die Jury hatte es bemerkt. Als ob das Wünschen geholfen hätte. Auf der Theke im Kinocafé stand eine kleine Box aus Pappe: eine Urne für die Stimmzettel des Publikums, das in Saarbrücken seinen eigenen Preis vergibt. Eine sichere Entscheidung auch hier. Schon stand Wieland Speck auf der Bühne. Sein Debütfilm „Wrestler“ hatte gewonnen: eine schwule Liebesgeschichte, der selbst die Berliner Mauer nicht zu hoch ist. Das Publikum jubelte seiner eigenen Entscheidung zu. Pia Frankenberg und Wieland Speck in der Disco „Gloria“: zwei Sieger auf verlorenem Gelände.

Galerie Extras

Original Aushangfotos von „Nicht nichts ohne Dich“

PDF

Original Presseheft von „Nicht nichts ohne Dich“

Credits

Buch und Regie
Pia Frankenberg
Mit
Pia Frankenberg, Ilona Ribowski-Bruwer, Klaus Bueb, Adelina Almeida, Thomas Struck, Alfred Edel, Dieter Kosslick, Hark Bohm
Kamera
Thomas Mauch
Schnitt
Ursula West
Musik
Horst Mühlbradt
Ausstattung
Brigitte Abel
Maske
Werner Albert Püthe
Produktionsleitung
Thomas Struck
Produzentin
Pia Frankenberg
Produktion
Pia Frankenberg Musik- und Filmproduktion
Uraufführung (DE)
Oktober 1985, Internationale Hofer Filmtage
Kinostart (DE):
Februar 1986

DVD-Infos

PIA FRANKENBERG - FILME
DVD-Box mit den restaurierten Fassungen der drei Spielfilme „Nicht nichts ohne Dich“ (1985, 87 min), „Brennende Betten“ (1988, 83 min), „Nie wieder schlafen“ (1992, 92 min) und der zwei Kurzfilme „Sehnsucht nach dem ganz Anderen“ (1981, 13 min) und „Der Anschlag“ (1984, 9 min).
Extras
Drehort-Touren (Hamburg und Berlin) mit Pia Frankenberg, Original-Kinotrailer, Booklet (12 Seiten)
Sprache 
Deutsch
Untertitel
Englisch, Französisch 
Regionalcode
0
System
PAL, Farbe + S/W
Laufzeit
259 min + 82 min Extras
Bildformat
16:9
Tonformat
Dolby Digital 2.0
Inhalt
3 DVDs (Slimboxen) im Pappschuber, 1 Booklet
Veröffentlichung
14.12.2023
FSK
12

Kinoverleih-Infos

Deutscher Kinoverleih
Deutsche Kinemathek