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Thomas Arslan

„Ich versuche nicht einen bestimmten Stil zu haben, den ich als fertiges Konzept über jede Arbeit stülpe. Ich versuche Dinge auszuprobieren und die Form aus dem Material heraus zu entwickeln. Mir geht es nicht darum, ein soziales Milieu abzubilden, sondern um die Beschreibung eines mentalen Zustandes, den es produziert.“

Foto: Reinhold Vorschneider (l.) und Thomas Arslan (r.) bei den Dreharbeiten zu „Helle Nächte“

Fast dokumentarisch zeigt Thomas Arslans Berlin-Trilogie (GESCHWISTER, DEALER, DER SCHÖNE TAG) türkisch-deutsche Jugendliche im Berlin der 90er und beschreibt ihr alltägliches Umfeld, das heute wie Momentaufnahmen einer ins Kino eingegangenen Realität wirkt. Die Treffsicherheit, mit der er immer wieder neue Milieus erkundet, hat schon sein dffb-Kurzfilm AM RAND angekündigt. Er bewegt sich an der deutsch deutschen Grenze entlang, ist allerdings weniger an dem Verlauf der Mauer interessiert, als an den brachliegenden Gebieten in der Umgebung. Aus den verschiedenen Beobachtungen baut sich ein Bild der Zeit oder einer Stadt — die ein besonderer Zeitraum ist —, zusammen. So wie in seinem Heist-Thriller IM SCHATTEN, wo sich die Stadt erst aus den Bewegungen ihrer Gangster erschließt.
Zwischen Genrefilm und Berliner Schule, der neuen Gradlinigkeit eines amerikanischen Kinos á la Michael Mann oder Don Siegel und dem, was Frankreich seinerseits aus den Einflüssen amerikanischen Genrekinos machte, erweist sich sein Werk als heterogenes, das sich mit jedem Film neu (er-)findet, den Grundton seiner präzisen Beobachtungsgabe aber beibehält.

Filmgalerie 451 veröffentlicht seit 2007 Filme von Thomas Arslan auf DVD. Jetzt sind sieben seiner Filme in der 2K restaurierten Fassung bei uns im Stream wiederzuentdecken.

Biografie

Öffnung zur Welt – Der Filmemacher Thomas Arslan
von Michael Baute (2013)

Thomas Arslan ist einer der wenigen deutschen Regisseure, dem es seit 20 Jahren gelingt, kontinuierlich zu arbeiten. Seit 1994 „Mach die Musik leiser“ – sein Abschlussfilm der Deutschen Film-Fernsehakademie Berlin (dffb), in der Arslan zwischen 1986 und 1992 studierte – im „Panorama“ der Berlinale uraufgeführt wurde, realisierte er als Autor und Regisseur sieben abendfüllende Filme.
Zunächst arbeitete Arslan größtenteils mit nicht-professionellen Darstellern, die er in aufwändigen Castings in den tatsächlichen Milieus suchte, in denen seine Geschichten angesiedelt sind. So porträtiert „Mach die Musik leiser“ eine Gruppe von Jugendlichen in Essen, der Stadt im Ruhrgebiet, in der Arslan aufwuchs. Bereits hier verfolgt er einen Stil zurückgenommener Beobachtung, in den sich ein starkes fotografisches Interesse für die Orte der Handlung einschreibt: „Die Schauspieler bei mir sollen so einfach wie möglich spielen. Ich versuche mir immer im Klaren darüber zu sein, welche Ausdrücke der Raum, in dem sie handeln, überhaupt ermöglicht.“
Seinen zwischen konkreter dokumentarischer Erfassung und lakonischer Beobachtung oszillierenden Stil entwickelte er in seiner „Berliner Trilogie“ weiter. In den drei zwischen 1996 und 2001 entstandenen Filmen schildert Arslan, der selbst Sohn deutsch-türkischer Eltern ist, den Alltag türkisch-stämmiger Heranwachsender in Berlin.
„Kardesler - Geschwister“ erzählt 1996 von den Lebensentwürfen zweier Brüder und ihrer Schwester. Der darauf folgende „Dealer“ erzählt minimalistisch von der Desillusionierung eines Kleinkriminellen, der zwischen den Forderungen seiner Hintermänner, den Nachstellungen der Polizei und einem prekären Familienleben langsam aufgerieben wird. Mit dem Film (der im „Forum“ der Berlinale 1999 gezeigt und mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet wird) wird Arslan auch über die Grenzen Deutschlands bekannt: „Da fing die internationale Rezeption an, zunächst vor allem in Frankreich, wo meine Filme zu der dort ausgerufenen Nouvelle Vague Allemande gezählt wurden.“
Auch national wahrgenommen wurde die „Berliner Schule“ – jene Gruppe befreundeter Filmemacher, die das deutsche Kino wieder an internationale Entwicklungen im Autorenfilm anschloss und zu deren Kern Arslan mit seinen dffb-Komillitonen Angela Schanelec und Christian Petzold zählt – spätestens mit dem Abschlussfilm der Berliner Trilogie: „Der schöne Tag“ wurde 2001 im „Forum“ der Berlinale uraufgeführt und danach auf vielen internationalen Festivals gezeigt. Er gilt als einer der Schlüsselfilme der „Berliner Schule“. Der Sommerfilm über urbane Liebesangelegenheiten einer jungen Synchronsprecherin besitzt deutliche Anklänge an Arbeiten von Maurice Pialat und Eric Rohmer.
Nach dem Dokumentarfilm „Aus der Ferne“ (2006) über eine Reise Arslans durch die heimatliche Türkei (bei dem er auch die Kamera führte), verlässt er mit dem Familiendrama „Ferien“ (2007) das in den vorhergehenden Spielfilmen präsente Berlin. Präzise und minutiös entwickelt sich in dem Film – in dem Arslan zum ersten Mal ausschließlich mit professionellen Darstellern arbeitet – ein Generationenporträt, in dem sich die Mikro- und Makroebenen einer Familie unaufgeregt, aber dennoch hoch emotional verschränken. Zu seiner Inszenierungsmethode sagt Arslan: „Ich versuche, so nüchtern wie möglich mit der Kamera zu arbeiten. Die Kamera ist für mich ein autonomes Segment des Filmemachens, die nicht primär dafür da ist, Emotionen zu evozieren. Mich interessiert es, Emotionen indirekter entstehen zu lassen, nicht unmittelbar medial zu forcieren. Das hat auch mit dem Respekt vor den Figuren zu tun. Man kann Nähe zu ihnen auch auf eine andere Weise als mit einer Großaufnahme vermitteln.“
Der Respekt vor den Figuren und der Eigenlogik der Milieus, in denen sie sich bewegen, zeigt sich auch in „Im Schatten“, der 2010 im „Forum“ der Berlinale  gezeigt wurde. Der präzis schillernde Neo-Noir schildert den Alltag eines aus dem Gefängnis entlassenen Gangsters, der genau da weiter macht, wo er vor seiner Inhaftierung aufgehört hatte. Arslan arbeitet dabei – ähnlich wie beim dieses Jahr im Wettbewerb der Berlinale vorgestellten „Gold“, einer Spät-Western-Variation über eine Gruppe deutscher Auswanderer in Kanada – mit Folien und Versatzstücken konventioneller Erzählformen. Er transponiert diese Elemente jedoch stark, nutzt die vorgegebenen Rahmen zur Fokussierung innerer, mentaler Zustände und zur kinematografischen Artikulation physischer Wirklichkeit: „Ich mache eigentlich keinen Unterschied zwischen Genre und Nicht-Genre. In Genres gibt es einen Satz von Mustern, der eine Art öffentliche Verabredung zwischen dem Film und seinen Zuschauern impliziert. Was mich dann jeweils speziell interessiert, sind die Variationen im Detail. Die Genre-Elemente dürfen nicht so dicht werden, dass sie nur noch auf Filmgeschichte referenzieren. Stattdessen müssen sie eine Öffnung zur Welt ermöglichen.“

Thomas Arslan wird 1962 als Sohn deutsch-türkischer Eltern in Braunschweig geboren. Von 1963 bis 1967 wächst er im westdeutschen Essen auf. Zwischen 1967 und 1971 lebt Arslan im türkischen Ankara, wo er die Grundschule besucht, 1971 kehrt er nach Essen zurück. Nach Abitur und Zivildienst in Hamburg studiert er 1985/86 Germanistik in München, wechselt dann an die Deutsche Film- und Fernsehakademie nach Berlin, wo er sechs Jahre Regie studiert. Seit 1992 ist er als freiberuflicher Drehbuchautor und Filmemacher tätig. Seit 2007 ist er zudem Professor für das Lehrgebiet „Narration mit und in technischen Bildmedien“ an der Universität der Künste in Berlin.

Vollständige Filmografie

HELLE NÄCHTE, 2017, 86 min
GOLD, 2013, 101 min
IM SCHATTEN, 2010, 85 min
FERIEN, 2007, 35 mm, 91 min
AUS DER FERNE, 2005, 89 min
DER SCHÖNE TAG, 2001, 74 min
DEALER, 1998, 74 min
GESCHWISTER, 1996, 82 min
MACH DIE MUSIK LEISER, 1994, 87 min
IM SOMMER – DIE SICHTBARE WELT, 1992, 41 min
AM RAND, 1991, 24 min
19 PORTRAITS, 1990, 20 min
RISSE, 1989, 32 min
TEST 2, 1986, 6 min
EINE NACHT, EIN MORGEN, 1984, 9 min

Filme im Programm

D 2010, 82 min

Ein Gangsterfilm auf seine Strukturen hin durchleuchtet.

D 2007, 91 min

Vier Generationen in einem Landhaus zwischen verdeckten Eifersuchtsszenen und Sticheleien, bald offenherzigen...

D 2006, 89 min

Ein persönlicher Reisebericht, ein Dokumentarfilm über eine Reise durch die Türkei.

D 2001, 75 min

Komprimiert auf einen Tag werden wichtige Momente im Leben der jungen Deutsch-Türkin Deniz, wird so der Stand der Dinge dieses Lebens...

D 1998, 74 min

Das Dasein gehorcht strengen Gesetzen. Willst du als Dealer nicht bei deinen Hintermännern in Ungnade fallen, darfst du dich nicht mit...

D 1997, 84 min

Das ganz alltägliche Leben der deutsch-türkischen Geschwister Erol, Ahmed und Leyla in Berlin-Kreuzberg. Der erste Teil von Thomas Arslans...

D 1994, 87 min

Der erste lange Spielfilm von Thomas Arslan porträtiert eine Gruppe Jugendlicher im Essen der 1990er-Jahre.

Filme im Programm

D 2010, 82 min

Ein Gangsterfilm auf seine Strukturen hin durchleuchtet.

D 2007, 91 min

Vier Generationen in einem Landhaus zwischen verdeckten Eifersuchtsszenen und Sticheleien, bald offenherzigen Bekenntnissen und Handgreiflichkeiten kommt die Kulisse der... mehr

D 2006, 89 min

Ein persönlicher Reisebericht, ein Dokumentarfilm über eine Reise durch die Türkei.

D 2001, 75 min

Komprimiert auf einen Tag werden wichtige Momente im Leben der jungen Deutsch-Türkin Deniz, wird so der Stand der Dinge dieses Lebens vorgeführt.

D 1998, 74 min

Das Dasein gehorcht strengen Gesetzen. Willst du als Dealer nicht bei deinen Hintermännern in Ungnade fallen, darfst du dich nicht mit Zivilbullen sehen lassen. Willst du auf keinen Spitzel... mehr

D 1997, 84 min

Das ganz alltägliche Leben der deutsch-türkischen Geschwister Erol, Ahmed und Leyla in Berlin-Kreuzberg. Der erste Teil von Thomas Arslans „Berlin-Trilogie“ mit der Berliner Hip-Hop Legende Kool... mehr

D 1994, 87 min

Der erste lange Spielfilm von Thomas Arslan porträtiert eine Gruppe Jugendlicher im Essen der 1990er-Jahre.