Öffnung zur Welt – Der Filmemacher Thomas Arslan
von Michael Baute (2013)
Thomas Arslan ist einer der wenigen deutschen Regisseure, dem es seit 20 Jahren gelingt, kontinuierlich zu arbeiten. Seit 1994 „Mach die Musik leiser“ – sein Abschlussfilm der Deutschen Film-Fernsehakademie Berlin (dffb), in der Arslan zwischen 1986 und 1992 studierte – im „Panorama“ der Berlinale uraufgeführt wurde, realisierte er als Autor und Regisseur sieben abendfüllende Filme.
Zunächst arbeitete Arslan größtenteils mit nicht-professionellen Darstellern, die er in aufwändigen Castings in den tatsächlichen Milieus suchte, in denen seine Geschichten angesiedelt sind. So porträtiert „Mach die Musik leiser“ eine Gruppe von Jugendlichen in Essen, der Stadt im Ruhrgebiet, in der Arslan aufwuchs. Bereits hier verfolgt er einen Stil zurückgenommener Beobachtung, in den sich ein starkes fotografisches Interesse für die Orte der Handlung einschreibt: „Die Schauspieler bei mir sollen so einfach wie möglich spielen. Ich versuche mir immer im Klaren darüber zu sein, welche Ausdrücke der Raum, in dem sie handeln, überhaupt ermöglicht.“
Seinen zwischen konkreter dokumentarischer Erfassung und lakonischer Beobachtung oszillierenden Stil entwickelte er in seiner „Berliner Trilogie“ weiter. In den drei zwischen 1996 und 2001 entstandenen Filmen schildert Arslan, der selbst Sohn deutsch-türkischer Eltern ist, den Alltag türkisch-stämmiger Heranwachsender in Berlin.
„Kardesler - Geschwister“ erzählt 1996 von den Lebensentwürfen zweier Brüder und ihrer Schwester. Der darauf folgende „Dealer“ erzählt minimalistisch von der Desillusionierung eines Kleinkriminellen, der zwischen den Forderungen seiner Hintermänner, den Nachstellungen der Polizei und einem prekären Familienleben langsam aufgerieben wird. Mit dem Film (der im „Forum“ der Berlinale 1999 gezeigt und mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet wird) wird Arslan auch über die Grenzen Deutschlands bekannt: „Da fing die internationale Rezeption an, zunächst vor allem in Frankreich, wo meine Filme zu der dort ausgerufenen Nouvelle Vague Allemande gezählt wurden.“
Auch national wahrgenommen wurde die „Berliner Schule“ – jene Gruppe befreundeter Filmemacher, die das deutsche Kino wieder an internationale Entwicklungen im Autorenfilm anschloss und zu deren Kern Arslan mit seinen dffb-Komillitonen Angela Schanelec und Christian Petzold zählt – spätestens mit dem Abschlussfilm der Berliner Trilogie: „Der schöne Tag“ wurde 2001 im „Forum“ der Berlinale uraufgeführt und danach auf vielen internationalen Festivals gezeigt. Er gilt als einer der Schlüsselfilme der „Berliner Schule“. Der Sommerfilm über urbane Liebesangelegenheiten einer jungen Synchronsprecherin besitzt deutliche Anklänge an Arbeiten von Maurice Pialat und Eric Rohmer.
Nach dem Dokumentarfilm „Aus der Ferne“ (2006) über eine Reise Arslans durch die heimatliche Türkei (bei dem er auch die Kamera führte), verlässt er mit dem Familiendrama „Ferien“ (2007) das in den vorhergehenden Spielfilmen präsente Berlin. Präzise und minutiös entwickelt sich in dem Film – in dem Arslan zum ersten Mal ausschließlich mit professionellen Darstellern arbeitet – ein Generationenporträt, in dem sich die Mikro- und Makroebenen einer Familie unaufgeregt, aber dennoch hoch emotional verschränken. Zu seiner Inszenierungsmethode sagt Arslan: „Ich versuche, so nüchtern wie möglich mit der Kamera zu arbeiten. Die Kamera ist für mich ein autonomes Segment des Filmemachens, die nicht primär dafür da ist, Emotionen zu evozieren. Mich interessiert es, Emotionen indirekter entstehen zu lassen, nicht unmittelbar medial zu forcieren. Das hat auch mit dem Respekt vor den Figuren zu tun. Man kann Nähe zu ihnen auch auf eine andere Weise als mit einer Großaufnahme vermitteln.“
Der Respekt vor den Figuren und der Eigenlogik der Milieus, in denen sie sich bewegen, zeigt sich auch in „Im Schatten“, der 2010 im „Forum“ der Berlinale gezeigt wurde. Der präzis schillernde Neo-Noir schildert den Alltag eines aus dem Gefängnis entlassenen Gangsters, der genau da weiter macht, wo er vor seiner Inhaftierung aufgehört hatte. Arslan arbeitet dabei – ähnlich wie beim dieses Jahr im Wettbewerb der Berlinale vorgestellten „Gold“, einer Spät-Western-Variation über eine Gruppe deutscher Auswanderer in Kanada – mit Folien und Versatzstücken konventioneller Erzählformen. Er transponiert diese Elemente jedoch stark, nutzt die vorgegebenen Rahmen zur Fokussierung innerer, mentaler Zustände und zur kinematografischen Artikulation physischer Wirklichkeit: „Ich mache eigentlich keinen Unterschied zwischen Genre und Nicht-Genre. In Genres gibt es einen Satz von Mustern, der eine Art öffentliche Verabredung zwischen dem Film und seinen Zuschauern impliziert. Was mich dann jeweils speziell interessiert, sind die Variationen im Detail. Die Genre-Elemente dürfen nicht so dicht werden, dass sie nur noch auf Filmgeschichte referenzieren. Stattdessen müssen sie eine Öffnung zur Welt ermöglichen.“
Thomas Arslan wird 1962 als Sohn deutsch-türkischer Eltern in Braunschweig geboren. Von 1963 bis 1967 wächst er im westdeutschen Essen auf. Zwischen 1967 und 1971 lebt Arslan im türkischen Ankara, wo er die Grundschule besucht, 1971 kehrt er nach Essen zurück. Nach Abitur und Zivildienst in Hamburg studiert er 1985/86 Germanistik in München, wechselt dann an die Deutsche Film- und Fernsehakademie nach Berlin, wo er sechs Jahre Regie studiert. Seit 1992 ist er als freiberuflicher Drehbuchautor und Filmemacher tätig. Seit 2007 ist er zudem Professor für das Lehrgebiet „Narration mit und in technischen Bildmedien“ an der Universität der Künste in Berlin.