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Via Intolleranza II

D 2010, 323 min

Clash der Kulturen im Gewand einer Theateroper. Christoph Schlingensiefs letzte vollständige Arbeit mit Darsteller_innen aus Burkina Faso.

Synopsis

Die Figur Schlingensief preist sich auf offener Bühne als Gründer des „Operndorfs Afrika“ und diffamiert sich so als Kolonialist und Missionar. Der Rest ist afrikanisches Kulturprogramm und westliche Nabelschau auf dem Niveau einer Kaffeefahrt, die die Brieftaschen des Publikums öffnen soll. Mit VIA INTOLLERANZA II vollzieht Schlingensief einen schmerzhaften Spagat zwischen Moral und Wirklichkeit. Sein Standpunkt gleicht einem Offenbarungseid: die Erkenntnis der Überflüssigkeit der eigenen Interventionen – und dadurch, das ist seine Hoffnung, endlich die Chance auf eine realistische Begegnung. Christoph Schlingensief versucht den Überdruss an der eigenen Lebensform nicht mehr mit der projektiven Idealisierung Afrikas zu kompensieren. Er entwirft mit VIA INTOLLERANZA II das paradoxe musikalische Bilder- und Dunkelphasenszenario einer utopischen Vereinigung durch das Misslingen hindurch.

DVD-Inhalt / 2 DVDs:
- „Via Intolleranza II“ (Deutschland-Premiere auf Kampnagel, Hamburg, 23.05.2010, 94 min)
- „Via Intolleranza II“ (Theatertreffen Berlin, 22.05.2011, 99 min)
- „Kandy Ethnologe” von Meika Dresenkamp (2010, 3 min)
- „Opernszene” von Meika Dresenkamp (2010, 4 min)
- „Der afrikanische Blick” von Lionel Poutiaire Somé (2010, 42 min)
- Vorstellungsrunde (Wien, 14.06.2010, 12 min)
- Casting in Burkina Faso, Christoph Schlingensiefs POV (2010, 11 min)
- Interviews mit dem Ensemble (footage von Sibylle Dahrendorf, Michael Bogár, 2010, 11 min)
- Arno Waschk Portrait von Christoph Schlingensief (2010, 4 min)
- Das Operndorf in Burkina Faso (5 kurze Filme, 2010–2014, 43 min)
- 24-seitiges Booklet mit Texten und Bildern

Streaming-Info

Der Film ist über unseren Vimeo-Kanal zum Leihen oder Kaufen erhältlich. Weitere Anbieter siehe „Film kaufen“.
Sprache: Deutsch, Französisch, Englisch, Untertitel: Deutsch

Pressestimmen

Was aus Luigi Nonos hochmoderner Ernsthaftigkeit alles werden kann, wenn Christoph Schlingensief sie mit seinem Leben, seinen Projekten, mit  Kolonialismus und Kritik durchkreuzt. (…) Die in Französisch, Deutsch und Moore (der von der Hälfte der Bevölkerung in Burkina Faso gesprochenen Sprache) gehaltenen Dia- und Monologe addieren sich vor der synkretistischen Soundkulisse abstrakter elektronischer Beats aus zeitgenössischen globalen Tanzmusiken zu einem Sog aus Wissen und Absichten, das die Fragilität und Prekarität der einzelnen Auftritte übersteigt. (Diedrich Diederichsen, Theater heute, 07/2010)

Eine Mischung aus Afrika-Folklore, Radikalmahnung, Spendenaufruf und einem nahezu manischen Versuch der Krankheitsbewältigung. (...) ‘Via Intolleranza II’ ist eine wilde Collage, die mit Gesang, Monolog und Tanz beeindruckt und diese Elemente nutzt, um das Afrikabild der Europäer ad absurdum zu führen. (Tobias Dorfer, SZ, 25.05.2010)

„Via Intolleranza II“ (bezeichnet) eine Aporie in Schlingensiefs Schaffen: Afrika eröffnet für ihn keine Alternative, und das alte Europa mit seinen Kultureinrichtungen, die ihn alimentieren (Goethe-Institut, Bayreuth etc.), steht seinem Konzept eines politisch radikalen und existentiellen Theaters im Weg. Noch nie war Christoph Schlingensief seinem Ideal Antonin Artaud so nahe. (Reinhard Brembeck, SZ, 17.05.2010)

Die Dilemmata sind nicht aufzulösen, und genau davon erzählt „Via Intolleranza II“. Schlingensief hat sich in seinen Arbeiten seit je weniger für Lösungen interessiert als dafür, die Widersprüche möglichst gordisch zu verschlingen und sich gegenseitig niederringen zu lassen. Moralische Kippfiguren und ästhetische Borderline-Unternehmen säumen seinen Weg. Andererseits hat er sich von fehlenden Lösungen nie abhalten lassen, sich in ausweglose Situationen zu begeben, selbstverständlich unter hochprozentiger Selbstbeteiligung. (Franz Wille, aus dem Programmtext des Berliner Theatertreffen, 2011)

Auch wenn diese Kritik an NGOs, Gutmenschen und staatlichen Entwicklungshelfern nicht ganz neu ist, so muss man Schlingensief zugute halten, dass er sie am Scheitern seines eigenen Projekts aufs Glänzendste zu Kunst ummünzt und uns zur Erfahrung werden lässt. “Via Intolleranza II” ist wie das Leben selbst: in seiner Fülle ein Strich durch alle Rechnungen der Besserwisserei. (Maximilian Probst, taz, 25.5.2010)

Das Eigenartige an „Via Intolleranza II“ ist vielleicht, dass Schlingensief, der sich so radikal wie kein anderer und so unendlich zu Herzen gehend auf dem Theater einbringt, diesmal einen Weg andeutet, sich herauszuhalten. (Guido Rademachers, Nachtkritik) 

Preise und Festivals

- Kunsten Festival des Arts in Brüssel (Uraufführung am 15.05.2010) 
- Kampnagel Hamburg (Deutschlandpremiere am 23.05.2010)
- Wiener Festwochen 2010
- Münchner Opernfestspiele 2010
- Berliner Theatertreffen, 2011 (ausgezeichnet mit dem 3sat-Preis als „herausragende künstlerische Arbeit aus der Reihe der eingeladenen Inszenierungen“)
- Holland Festival Amsterdam 2011
- Helsinki Festival 2011

Weitere Texte

VIA INTOLLERANZA II
Ein Projekt von Christoph Schlingensief
Text von Anna Heesen und Carl Hegemann (2010)

VIA INTOLLERANZA II ist die letzte Inszenierung von Christoph Schlingensief und seine erste Zusammenarbeit mit Künstlern aus Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, dem örtlichen Umfeld des OPERNDORF AFRIKA. Es ist keine produktion des Operndorfes, sondern eine begleitende Forschungsarbeit. In Ouagadougou begannen die Proben für dieses erste Stück materialisierte afrikanische Operndorf-Utopie. Christoph Schlingensief reiste im März 2010 mit seinem Team nach Ouagadougou, um dort Künstler kennen zu lernen und mit ihnen zu arbeiten. Irène Tassembedo, die in Ouagadougou eine Tanzschule leitet, half ihm, Tänzer, Sänger, Komiker und Schauspieler zu versammeln und schon
vor Ort mit den Vorproben zu beginnen. Er fuhr mit dem gesamten Ensemble in das Operndorfgelände in Laongo, wo derzeit schon die ersten Fundamente gebaut waren, um dort mit den Ortsansässigen Künstlern die Utopie des Operndorfes heraus zu fordern und ihr Gestalt zu geben. Hier fanden die ersten Filmdrehs für die Inszenierung statt. Intolleranza 1960, uraufgeführt bei der Biennale 1961 in Venedig, ist ein Schlüsselwerk der europäischen Oper des 20. Jahrhunderts. Mit ihr hat Luigi Nono ein politisches Statement gegen Rassismus, Intoleranz und staatliche Gewalt verfasst. Nono wollte eine sozial engagierte Musik schaffen, die sich nicht in ästhetisch-künstlerischen Formen erschöpft, sondern eine direkte Wirkung auf das Publikum hat.
Nonos System der “azione scenica“ – die Zusammenführung und Kollision von musikalischem, bildlichem und textlichem Material – , sein Glaube an die politische Wirksamkeit von Kunst, aber vor allem seine nach dessen zweiter „azione scenica“ Il gran sole um 1978 herum aufkommenden Zweifel, inwieweit Kunst wirklich in das politisch gesellschaftliche Leben eingreifen und wahrhaftig Veränderung schaffen kann, waren grundlegend für Schlingensiefs Überlegungen, mit denen er in VIA INTOLLERANZA II auch sein langfristiges und aus eigener Autonomie heraus wachsendes Projekt des OPERNDORF AFRIKA befragte. Schlingensiefs eigener erweiterter Opernbegriff, der maßgeblich die Idee des OPERNDORF AFRIKA prägt, geht von der Notwendigkeit aus, dass die Oper in einen natürlichen Kreislauf eingebunden sein muss, um politisch und sozial wirken zu können. Denn nur da, wo die Oper wie ein zirkulierendes Gefäß in einem lebendigen Organismus aufgehoben ist, kann sie ihre ursprüngliche Kraft entfalten, das heißt direkt von ihrer Umgebung aufnehmen und in sie abgeben.
Ausgehend von seiner Beschäftigung mit Nonos Intolleranza 1960, jenem aufgeklärten Stück europäischer Kulturgeschichte, stellt Christoph Schlingensief in VIA INTOLLERANZA II die Relevanz-Frage: Hat das Wort “Intoleranz” auf dem afrikanischen Kontinent überhaupt eine Bedeutung? Oder handelt es sich, wenn wir dieses Thema in eine deutsch-afrikanische Zusammenarbeit bringen, wieder um eines unserer humanistischen Steckenpferde, mit dem wir von unserer eigenen Intoleranz ablenken und unser ethnozentristisches Denken legitimieren? Aber auch diese Rede von unserer eigenen Intoleranz gegenüber anderen greift wahrscheinlich zu kurz. Weil das Hauptproblem die Intoleranz gegenüber uns selbst sein könnte, dass wir uns selbst gegenüber lebenslänglich intolerant sind. Dass wir uns zugunsten von Konventionen und Klischees als singuläre Lebewesen verabschiedet haben. Und dass dieser Singularitätsanspruch selbst auch zutiefst fragwürdig ist. Dass wir in einer heillosen Verstrickung aus Spektakel und Rationalisierung existieren, dass unsere Existenz jeden festen Boden verloren hat.
Warum wollen wir ständig dem afrikanischen Kontinent helfen, obwohl wir uns selber nicht helfen können? Was kann das Ziel einer Zusammenarbeit sein, wenn sie ohne jegliche Hilfsideologie und Sentimentalität auskommen muss? Schlingensiefs Standpunkt gleicht in der kurz vor seinem Tod gegenwärtigen Phase seines Schaffens einem Offenbarungseid: die Erkenntnis der Überflüssigkeit der eigenen Interventionen – und dadurch, das ist seine Hoffnung, endlich die Chance auf eine realistische Begegnung. Christoph Schlingensief versucht den Überdruss an der eigenen Lebensform nicht mehr mit der projektiven Idealisierung Afrikas zu kompensieren. Er entwirft mit
VIA INTOLLERANZA II das paradoxe musikalische Bilder- und Dunkelphasenszenario einer utopischen Vereinigung durch das Misslingen hindurch. Es wird präsentiert von zwölf Schauspielern, Tänzern und Musikern aus Burkina Faso und Europa und dem Fönix-Orchester unter der Leitung von Arno Waschk.

Credits

Konzept und Regie
Christoph Schlingensief
Mit
Brigitte Cuvelier, Kerstin Grassmann, Mamounata „Kandy“ Guira, Friederike Harmsen, Claudia Sgarbi, Olivia Stahn, Isabelle Tassembedo, Jean Marie Gomzoudou, Boucougou Jean Chaize, Issoufou Kienou, Stefan Kolosko, Amado Komi, Johannes Lauer, Ahmed Soura, Nicolas Ulrich, Severin Tounga, Abdoul Kader Traoré, Arno Waschk, Wilfried Zoungrana
Bühne
Thekla von Mülheim, Christian Schlechter
Kostüme
Aino Laberenz
Licht
Voxi Bärenklau, Michael Dietze
Video
Meika Dresenkamp
Musik und Dirigat
Arno Waschk
Sound Design
David Gierth
Dramaturgie
Anna Heesen, Carl Hegemann
Regieassistenz
Nicola Ahr, Agathe Chion, Sophia Simitzis
Persönlicher Assistent von Christoph Schlingensief
Alex Jovanovic
Kostümassistenz
Charlotte Pistorius, Michaela Muchina
Ton
Rupert Derschmidt
Technische Koordination
Christian Schlechter
Mitarbeit Bühnenbild
Susanne Fehenberger, Kerstin Junge, Nanna Neudeck, Julia Ries
Unter Mithilfe der Studenten der HfbK Braunschweig
Armagan Aydin, Sina Dunker, Martina Gromadzki, Maria Manasterny, Imke Meyer, Nina Olczak, Christian Retschlag, Doreen Schwarz, Sabine Sellig, Deborah Uhde
Übersetzung und Künstlerbetreuung
Wilfried Zoungrana
Koordination und Künstlerbetreuung
Lisa Herkenhöhner
Übersetzung
Agathe Chion, Anne Hosemann
Regiebuch
Natascha Gangl
Regiehospitanz
Anne Hosemann, Marie Ohl
Hospitanten
Aurore Jacquemot, Melanie Zimmermann, Franziska Schnoor, Valerie Voigt-Firon, Susanne Weber
Leitung Casting und Proben in Ouagadougou
Sophia Simitzis
Korrepetition Ouagadougou
Roman Lemberg
Videodokumentation
Lionel Somé
Technik Berlin
Ingo Keller, Bertfried Wetzel
Produktionsleitung
Alexa Gräfe, Johanna von Rigal, Katharina Benecke
Projektleitung
Claudia Kaloff, Celina Nicolay
Eine Produktion der
Festspielhaus Afrika gGmbH
In Koproduktion mit
Kampnagel Hamburg, dem Kunsten Festival des Arts Brüssel und der Bayerischen Staatsoper München
In Kooperation mit
dem Burgtheater Wien, Impulstanz und den Wiener Festwochen
Mit freundlicher Unterstützung
Goethe-Institut, Maxim Gorki Theater Berlin, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin, ECC - European Creative Center, Uferstudios GmbH

DVD-Infos

Inhalt
„Via Intolleranza II“ (Deutschland-Premiere auf Kampnagel, Hamburg, 23.05.2010, 94 min – opt. dt., engl., franz. UT), „Via Intolleranza II“ (Theatertreffen Berlin, 22.05.2011, 99 min), „Kandy Ethnologe” von Meika Dresenkamp (2010, 3 min – franz. mit dt. UT), „Opernszene” von Meika Dresenkamp (2010, 4 min – no dialogue), „Der afrikanische Blick” von Lionel Poutiaire Somé (2010, 42 min – engl.), Vorstellungsrunde (Wien, 14.06.2010, 12 min), Casting in Burkina Faso, Christoph Schlingensiefs POV (2010, 11 min), Interviews mit dem Ensemble (footage von Sibylle Dahrendorf, Michael Bogár, 2010, 11 min – franz.), Arno Waschk Portrait von Christoph Schlingensief (2010, 4 min), Das Operndorf in Burkina Faso (5 kurze Filme, 2010–2014, 43 min – opt. engl. UT)
Sprache
Deutsch, Französisch, Englisch
Untertitel
Englisch, Französisch, Deutsch
Ländercode
Code-free
System
PAL / Farbe
Laufzeit
323 min
Bildformat
16:9
Tonformat
DD 2.0
Inhalt
Digipack (Set Inhalt: 2), 24-seitiges Booklet mit Texten und Bildern
Veröffentlichung
06.11.2015
FSK
Info-Programm gemäß §14 JuSchG

Kinoverleih-Infos

Auf Anfrage