Totem
D 2011, 86 min
Der Alltag im Leben einer Familie, der mit Erscheinen eines fremden Menschen aus dem Gefüge gerät.
Synopsis
In einer Stadt im Ruhrgebiet taucht eine junge Frau namens Fiona auf, die als Haushaltshilfe bei der Familie Bauer arbeiten wird. Vater, Mutter, Tochter, Sohn leben für sich, Kommunikation untereinander findet nicht statt. Fiona soll aufräumen, die Kinder versorgen und das Haus sauber halten. Aber irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Ihre Abwesenheiten, ihre Verwirrung, ihre Verweigerung lassen Seltsames erahnen. Langsam gerät etwas aus den Fugen und ein leiser Horror schleicht sich ein. Warum beginnt Frau Bauer plötzlich zu weinen? Was macht Fiona mitten in der Nacht mit dem Baby auf der Landstraße? Totem ist ein alltäglicher Horrorfilm, den eine Art Störgeräusch durchzieht, das keiner hört, Schatten, die keiner sieht. Nur das Kino.
Streaming-Info
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Sprache: Deutsch, Untertitel: Englisch
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Pressestimmen
Das Wohnzimmersofa erscheint als Folterbank, die Straße als Kampfzone, das Solarium als Sarg. – Süddeutsche Zeitung
Krummachers Film lief auf den Filmfestspielen von Venedig, als einziger deutscher Spielfilmbeitrag, und machte dort prompt Furore. – Tip Berlin
Ein Besetzungscoup berührt besonders intensiv: Mutter Claudia wird von Natja Brunckhorst gespielt, die vor 30 Jahren einmal Christiane F. war. – Filmdienst
Es ist immer ein besonderer Moment, wenn in einem Erstlingswerk schon ein Funke von Meisterschaft aufblitzt. – Deutschlandfunk
Preise und Festivals
- Biennale di Venezia 2011 – 26. Settimana Internazionale della Critica
- Viennale: Vienna International Film Festival 2011
- FIC Gijon: Festival Internacional de Cine de Gijon 2011
- Filmfestival Max Ophüls Preis 2011
- International Film Festival Rotterdam 2012
- BAFICI Festivales de Buenos Aires 2012
- IndieLisboa International Independent Film Festival 2012
- 22. filmkunstfest M-V Schwerin 2012
- Festival des deutschen Films Ludwigshafen 2012
Weitere Texte
Jessica Krummacher über TOTEM
Wir hatten für die Dreharbeiten 25.000 Euro zur Verfügung. Förderung gab es keine. Ich wage zu behaupten, dass das auch damit zu tun hatte, wie ich den Film machen wollte. Auch und gerade in Fragen der Produktionsweise bin ich nicht bereit, Kompromisse einzugehen. Ich kann mir eine freie künstlerische Arbeit innerhalb des Fördersystems in Deutschland (in seiner Verschränkung von Film- und Fernsehlogik) nur schwer vorstellen.
Die Geschichte ist in meiner Heimat, dem Ruhrgebiet angesiedelt. Das war für mich zum Arbeiten und Schöpfen aus Erfahrungen wichtig. Hier kenne ich mich aus. Gleichzeitig glaube ich, nur so meinem Wunsch nahe gekommen zu sein, dass Ort und Zeit in TOTEM nicht eindeutig zuzuordnen sind. Es spielt keine Rolle. Eine Un-Zeit. Ein Nicht-Ort. Orte im Film (auch die Nicht-Orte) sind für mich ebenso wichtig wie Figuren. Ich gehe von ihnen aus, weniger von der Geschichte, oder einem Plot.
Ich wollte nie nur mit dem Drehbuch arbeiten. Wir haben viel mit einem Prosatext gearbeitet, den ich als Grundlage für das Buch geschrieben hatte. Es fiel mir leichter, die Gefühle der Hautfi gur in der Ich-Form auszudrücken. So konnte ich nachempfinden und besser verstehen. Auch die Arbeit mit meiner Hauptdarstellerin Marina Frenk an der Figur „Fiona“ wurde so greifbarer. Eine Figur, die sich nicht greifen lassen will.
TOTEM feierte auf der Biennale di Venezia 2011 in der Reihe 26. Settimana Internazionale della Critica Weltpremiere. Dazu schrieb Christina Peternó im Katalog der Biennale eine wunderbare Rezension, beginnend mit folgendem Vergleich: „Tiger und Löwen sind wilde Tiere, die im Wald leben. Menschen leben stattdessen in eingegrenzten Orten, so wie Kaninchen, die in einem Käfi g im Garten eingesperrt sind und keine Möglichkeit haben, über den Garten hinaus die Pfl anzen am Wegrand oder im Gleisbett der Schienen zu erblicken. Es gibt keinen Ort mehr, an dem Wörter wie »Natur« oder »Freiheit« eine Bedeutung haben, und der zeitgenössische Weggefährte landet in einem Garten, der von einem Wolf bewacht wird, der so unecht ist wie die Puppen – diese perfekten Imitate eines schlafenden Geschwisterpärchens – um die sich Fiona als Kindermädchen kümmern soll.
Vollständiger Text unter https://www.revolver-film.com/krummacher-uber-tote/
›KANINCHEN IM KÄFIG‹ VON CRISTIANA PETERNÒ
Aus dem Katalog zur 68. Biennale di Venezia 2011 – 26. Settimana Internazionale della Critica
Tiger und Löwen sind wilde Tiere, die im Wald leben. Menschen leben stattdessen in eingegrenzten Orten, so wie Kaninchen, die in einem Käfig im Garten eingesperrt sind und keine Möglichkeit haben, über den Garten hinaus die Pflanzen am Wegrand oder im Gleisbett der Schienen zu erblicken. Es gibt keinen Ort mehr, an dem Wörter wie »Natur« oder »Freiheit« eine Bedeutung haben, und der zeitgenössische Weggefährte landet in einem Garten, der von einem Wolf bewacht wird, der so unecht ist wie die Puppen – diese perfekten Imitate eines schlafenden Geschwisterpärchens - um die sich Fiona als Kindermädchen kümmern soll.
Die Protagonistin von TOTEM ist die 20jährige Fiona, möglicherweise eine Einwanderin, in jedem Fall ohne eine konkretisierte Identität, oder eher mit einer Identität, die sich ständig im Umbruch befindet. Sie wird in eine Familie aus Bochum im Ruhrgebiet aufgenommen. Die Bauers sind, und darauf deutet schon der Familienname hin, eine gewöhnliche Mittelstandsfamilie. Sie setzt sich zusammen aus einem Vater, einer Mutter, einer 15jährigen Tochter, die eine Liebesbeziehung mit einem doppelt so alten Mann führt, und dem kleinen Jürgen. Fiona wird sofort von ihnen eingekreist, sowohl körperlich als auch durch intime Fragen zu ihrer Herkunft, auf die sie ausweichend und teilweise falsch antwortet. Trotzdem spielt Fiona auf Wunsch der Familie nach dem Essen für sie etwas auf dem Klavier vor, die Bauers lauschen zusammen von dem Sofa aus.
Nach diesem anfänglichen Kontakt geht die Familie ihrem gewohnten Alltag, ihren Angewohnheiten und Gepflogenheiten nach: der Swimmingpool, Bowlen, gemeinsame Mahlzeiten (während Fiona die Reste zu Essen bekommt), Faulenzen im Garten (während Fiona fegt oder den Boden wischt), kleine Spaziergänge. Genaue Regeln und Rituale bestimmen Fionas Alltag. Disziplin wird ständig angenommen und erneut geltend gemacht während sich die jeweiligen Neurosen und Ängste der Figuren beginnen abzuzeichnen. Fiona wird gezwungen, sich als Spielerin an den verschiedenen Freizeitaktivitäten der Bauers zu beteiligen, und ihre »Funktion« wird von Claudia im Gespräch mit der Nachbarin offen erwähnt. Fiona steht gleichermaßen innerhalb und außerhalb der Familie, sie ist für die Familie gleichzeitig heimlich und unheimlich. Der Zuschauer bemerkt schnell, dass die Rollen und Grenzen hier nicht klar definiert wurden. Die Mutter leidet unter verfrühten Wechseljahren und lässt ihrer Frustration und ihrem Zorn durch die imaginäre Beziehung zu zwei Puppen, die sie als ihre realen Säuglinge behandelt, sowie durch die Hass-Liebe zu Fiona mit zweideutigen verführerischen Momenten freien Lauf.
Wolfgang, der pater familias, scheint seine Frau abzulehnen. Er geht im Haus aus und ein, je nachdem wie es ihm gerade passt, er ist unnahbar und nervös und hat ein krankhaftes Interesse an Fiona mit zwischenzeitlichen Ausbrüchen von unkontrollierbarer sogar sexueller Agression. Er erzählt ihr immer wieder von einem Traum, in dem die zwei Frauen – seine gleichaltrige Frau und das junge Kindermädchen – aufeinander liegend, einen verstörenden Haufen der Begierde bilden. Klaustrophobische Strukturen werden oft durch die Innenräume transportiert, sodass TOTEM an Pier Paolo Pasolinis TEOREMA (1968) erinnert – nur, dass hier der Fremdkörper dem ihn verschluckenden Organismus unterliegt, während letzterer sich direkt, nach der Ausschließung des ersteren, wieder problemlos zu regenerieren scheint. Dennoch ist der Einfluss des zeitgenössischen österreichischen Films besonders erkennbar, allerdings mehr von Ulrich Seidl als von Michael Haneke. Ein weiterer unbeweisbarer Bezug besteht zu DOGTOOTH (KYNODONTAS, 2009) von dem griechischen Regisseur Yorgos Lanthimos, einem Un Certain Regard - Gewinner in Cannes. Darin hält ein Elternpaar einen Sohn und eine Tochter in der Familienvilla gefangen, außerhalb deren Grenzen sie sich noch nie herausgewagt haben, und zu der nur Christina, eine Angestellte des Vaters, zutritt hat, um terminlich festgelegten Geschlechtsverkehr mit dem Sohn zu vollziehen.
In diesem Kino der Greueltaten à la De Sade, dem TOTEM vielleicht nicht durch expliziten Sadismus aber dennoch in dem Sinne angehört, dass auf ein Universum geblickt wird, in dem das Subjekt nie nur ein Objekt ist, distanziert sich die Regisseurin behutsam von dem »massacre« Spiel - und ihrer kalten, rigorosen Repräsentation fehlt es sicherlich nicht an Pietas. Der Film zeigt die junge Fiona mitsamt ihrer inneren Widersprüchlichkeiten und Schwächen. Sie ist allein, sensibel, passiv, ein bisschen mythomanisch und möchte eine neue Identität fernab von ihrer ursprünglichen Familiengeschichte annehmen (sie gibt an, ein Weisenkind zu sein, erzählt aber später ihrer Mutter am Telefon, sie sei im Urlaub). Mit ihrem Rest an Menschlichkeit erweist sich Fiona als die einzige selbstbewusste Person des Films. Das verbalisiert Jessica Krummacher in zwei Fragmenten eines inneren Monologs, ansonsten nur durch Blicke, Gesten und Kamerabewegung.
TOTEM ist ein überraschender Abschlussfilm. Er hat die argumentative Kraft einer prägnanten Analyse der Mittelschicht mit Echos der klassischen deutschen Kultur, von Schiller (Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 1794) bis Hegel, während der Titel mit den Motiven, die er evoziert – mitunter dem Verbot von Inzest, das hier mehr oder weniger explizit über den Figuren schwebt, und die Ambivalenz der Familienmitglieder gegenüber Fiona, eine mögliche, wenn nicht sogar wahrscheinliche Andeutung zu Sigmund Freuds Totem und Tabu: Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker (1913) ist.
Die Bauers verhalten sich wie ein Stamm Primitiver, bei denen der Fremde ein Opfer von Machtmissbrauch und Demütigungen wird. Dem kann Fiona nicht entkommen, da sie selbst das lebende »Totem« ist. So wird sie mit genereller Gleichmütigkeit und in unaufhaltsamer Weise zu ihrem Schicksal gedrängt, so dass sie sich letztendlich verhält wie ein Skorpion, der sich, wenn er von Feuer umgeben ist, selbst das Leben nimmt.
Trotz der paradoxen und fast verspottenden Bezeichnung Au-pair (wortwörtlich etwa: gleichwertig) ist Fiona nicht mehr und nicht weniger als ein Dienerin. Angesichts dessen könnte es interessant sein, den Film unter Berücksichtigung von Hegels Worten in Die Phänomenologie des Geistes (1807) zu betrachten, in dem argumentiert wird, dass die Unterordnung des Dieners innerhalb der Herr-Knecht-Dialektik kippt und der Knecht des Herren Herr wird sowie die Begierde seines Herren dominiert, da die Wertgegenstände ihm nicht selbst gehören: »Es wird also durch dies Wiederfinden seiner durch sich selbst eigner Sinn, gerade in der Arbeit, worin es nur fremder Sinn zu sein schien.«
(Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche von Gesche Loft)
Zusatzposter zum Kinostart und DVD Einleger mit Auszügen aus dem Katalog zur 68. Biennale di Venezia 2011 – 26. Settimana Internazionale della Critica
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Credits
Buch und Regie
Jessica Krummacher
Mit
Marina Frenk, Natja Brunckhorst, Benno Ifland, Alissa Wilms, Cedric Koch, Fritz Fenne, Dominik Buch, Irmgard Pethke
Kamera
Björn Siepmann
Schnitt
Jessica Krummacher, Heike Parplies
Musik
Marina Frenk
Maske
Katharina Bondzin, Angelika Maria Garus
Kostüm
Anna Wübber, Sarah Bernardy
Originalton
Daniel Schäkermann
Sounddesign
Jochen Jesuzzek
Mischung
Gerhard Auer, Andreas Goldbrunner
Produzent_innen
Martin Blankemeyer, Jessica Krummacher, Philipp Budweg, Timo Müller
Produziert von
Arepo Media, Münchner Filmwerkstatt, kLAPPbOXfILME, Lieblingsfilm
In Zusammenarbeit mit
der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF)
Uraufführung:
September 2011, 68. Biennale di Venezia – 26. Settimana Internazionale della Critica
Uraufführung (DE):
17.01.2012, Saarbrücken, Filmfestival Max Ophüls Preis
Kinostart (DE):
26.04.2012
DVD-Infos
Extras
Audiokommentar der Regisseurin, Prosavorlage zum Drehbuch von Jessica Krummacher, gelesen von Marina Frenk, Kino-Trailer
Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch, Deutsch, Spanisch, Französisch, Italienisch
Ländercode
Code-free
System
PAL / Farbe
Laufzeit
86 min + Extras
Bildformat
16:9
Tonformat
DD 2.0 + 5.1
Inhalt
Softbox (Set Inhalt: 1), Original-Presseheft zu den 68. Filmfestspielen von Venedig 2011 (Einleger)
Veröffentlichung
26.10.2012
FSK
Ab 12 Jahren
Kinoverleih-Infos
Verleihkopien
DCP (5.1)
Bildformat
1:1,85
Sprache
Deutsche Originalfassung
Werbematerial
A1 Plakat, Trailer
Lizenzgebiet
Deutschland, Österreich, Schweiz
FSK
Ab 12 Jahren