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Sulla

D 1990-2001, 121 min

Im Jahr der Consules Lucius Scipio und Gaius Norbanus, 671 Jahre nach Gründung der Stadt (im 427. Jahr der Republik), knapp einen Wochenmarsch südlich Roms - unweit von Tarracina. Nach dem gleichnamigen Roman von Klaus Wyborny.

Synopsis

Nach der Eroberung Carthagos, Griechenlands und Teilen Asiens zur bedeutendsten Macht des Mittelmeerraums geworden, geriet Rom in einen schweren Bürgerkrieg, den der pontische König Mithridates zu einem Aufruhr gegen die Herrschaft der Stadt nutzte. In einer Blutnacht ließ er die im asiatischen Teil ihres Reichs ansässigen Römer umbringen und drang dann mit starken Truppen in Griechenland ein, um als neuer Alexander die Weltherrschaft anzutreten. Seine Armeen wurden indes vom römischen Prokonsul Sulla in zwei spektakulären Schlachten vernichtend geschlagen. Unterdessen hatte in Rom eine Sulla feindlich gesonnene Gruppe die Macht übernommen, die seine Freunde vertrieb, seinen Besitz einzog und ihn selbst zum Staatsfeind erklärte. Sulla musste seinen erfolgreichen Feldzug abbrechen und kehrte, nach überstürzt mit Mithridates geschlossenem Frieden, an der Spitze seiner Truppen nach Italien zurück, um das gegen ihn, seine Partei und die Verfassung der Stadt begangene Unrecht rückgängig zu machen.

„Experimentalfilmemacher Klaus Wyborny verfilmt seinen eigenen Roman, in dessen Zentrum der titelgebende römische Politiker und Diktator steht. Allerdings dreht Wyborny kein klassisches Biopic, sein Film chronologisiert lediglich einen Tag im Leben Sullas. Die Hauptfigur bewegt sich zwischen Feldzügen durch sein Lager und bereitet sich auf den Beischlaf mit einer Dame namens Mathilde vor.“ (filmportal.de)

Pressestimmen

SULLA ist die filmische Umsetzung des ersten Kapitels von Wybornys gleichnamigem Roman und eine Tour de force durch das Hirn eines römischen Diktators: Sulla war nicht Caesar, und SULLA von Klaus Wyborny ist nicht GLADIATOR. Eher dessen vollständiges Gegenteil. In dem Film spielt Hanns Zischler zwei Stunden lang Sulla, ohne ein Wort zu sagen. Sullas autoritative, sonore Stimme gehört Klaus Wyborny, dem Weltgeist hinter diesem Autorenfilm. Sulla ist auf dem Rückweg nach Rom. Er hat in Griechenland den pontischen König Mithridates besiegt, muß nun aber in der Heimatstadt einen Zwist beilegen. Wyborny zeigt ihn an der Schwelle zwischen dem griechischen und dem römischen Zeitalter. Aber die Politik ist nur das Symptom einer allgemeinen Regung: Lust. - DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, 2005

Wer Sulla einmal gesehen hat, dem ist  unauslöschlich das Licht einer Landschaft ins Gedächtnis eingeschrieben - und das Agieren, Sinnieren, Räsonieren eines Mannes, dessen Figur Wyborny in seinem gleichnamigen Roman erfunden und im Film dem genialen Schauspieler Hanns Zischler anvertraut hat.

Der Mann ist Sulla, römischer Feldherr, Revolutionär, Staatsmann und Diktator, und die Landschaft nicht etwa ein beliebiges Italien, sondern eindeutig das klassische Latium bei Rom. Denn ganz unmissverständlich lateinisch sehen der blaue Himmel, die Wolken, die Pinien, der karstige Boden, die grauen Steine, selbst die Ameisen und die Pferdeäpfel aus; lateinisch tschilpern die Spatzen, denen Sulla - wartend, grübelnd, mal griesgrämig, mal in sexueller Hochstimmung - lauscht. Und dem lateinischen Kalender folgt auch das Datum, das Wyborny seinem Film vorangestellt hat: Man schreibt das Jahr 671 nach der Gründung Roms, das 427. Jahr der Republik.

Während eines langwierigen Bürgerkrieges nimmt Sulla eine Auszeit vom politischen Geschäft, reflektiert über den Gesang des Windes in den Pinien, über Freiheit und Unfreiheit, Natur, Form und Substanz, über das Wirkliche (wie wird es zum Tatsächlichen?) und über die gnadenlose Asymmetrie der Welt: „Ach, zuzementieren sollte man all das, die ganze Natur, die ganze Welt." Ein Gedankenstrom in antikem Gelände, den uns Wybornys geruhsam tropfende Erzählerstimme in Worte übersetzt und dabei poetische Stimmung und penible Sachlichkeit, das Tiefsinnige und das Banale, Zart-Erotisches und Krass-Zotiges in einem schwebenden Gleichgewicht hält.

Sulla erfährt, nachdenkend, die Erregungen des Wartens, denn er wartet ja, er wartet auf ein vergöttertes Wesen namens Mathilde (Corinna Belz), das er fern weiß und zugleich in sinnlicher Nähe vor sich sieht, als Epiphanie und als Projektion seiner Vorstellungen und sexuellen Begierden erlebt. Denn baut er nicht unablässig an einem erhabenen Tempel, den er ein „Votzenheiligtum für Mathilde" nennt und der ein Denkmal für Rom und die Welt, für Zeit und Geschichte, Natur und Staat sein wird?  Bilden der Körper und die Politik nicht ein gemeinsames Muster, „ein Muster, worin sich die Republik für Jahrhunderte aufbewahren ließ"? Natur und Staat, "irgendetwas verbarg sich zwischen diesen beiden Worten."

Es sind dies die letzten Worte des Films. In der Schwarzblende am Ende schwingt die satte Südlichkeit der Bilder weiter, die Erscheinung Mathildes – „er will sie nicht ficken, er will sie fühlen" -, das helle Schnarren der Zikaden in den Pinien, der leise summende Gesang der Welt. - ray Filmmagazin, 2015


In a European filmmaking landscape where many a helmer indulges in celluloid onanism in hopes it will be mistaken for Art, German avant-garde filmer Klaus Wyborny devotes much of his latest pic to the antique joys of pud-pulling, as maybe practiced by Roman dictator Lucius Cornelius Sulla (Hanns Zischler) in late June of 83 B.C. Borderline maddening but often laugh-aloud funny, this two-hour wordfest (with no synch sound) is fest fare supreme.

Wyborny makes of Sulla an ultra-thoughtful contemplator of nature as well as a randy masturbator. The general's stream of consciousness -- spoken by Wyborny as a non-stop carpet of voice-over musings -- touches on the essence of politics and the state, wrapped around his burgeoning project to erect a "Cunt Sanctuary" after fingering (in his imagination) a wench named Matilda. Zischler, lolling in a shady clearing for pic's duration, plays Sulla as a man who has conquered and pillaged the ancient world's leading cities but remains, well, a guy who is surprised at his own erotic thoughts and the fact that his hand keeps wandering to his nether regions. Latter remain discreetly beneath his toga at all times. - Lisa Nesselson, Variety, Nov. 7, 2002

 

Preise und Festivals

- Rotterdam, IFF 2003
- Hof, Internationale Filmtage 2003
- Internationalens Filmfestival Split 2003 - Spezialpreis der Jury für herausragende künstlerische Qualität

Weitere Texte

Klaus Wyborny über SULLA

Da ist zunächst einmal Sulla selbst, die Hauptfigur: seine Erscheinung und seine Art sich zu bewegen, sein Bewegen der Steingruppen, sein Liegen, sein Gang zum Lager, sein Masturbieren, sein erstauntes Betrachten der Welt, und natürlich der peinliche Moment, in dem er merkt, dass er von Aemilius beim Wichsen beobachtet worden ist. Dann ist es natürlich das, was er betrachtet: die Pinien, die Arten der Zapfen an den Pinien, das Zwitschern der Vögel, das Geräusch des Windes in den Pinien, das Vogelnest, Wolkenbildungen, der Ameisenhaufen, die Art der Gebüsche. Glücklicherweise bietet die normale Filmerzählung Methoden, diese beiden Ebenen durch Blicke und Totalen zu verbinden, so dass eine kompakte Erzählbasis des Films erzeugt werden kann, die zur Not auch ohne den darunterliegenden Text auskommen könnte. All dies spielt im Freien. Es versteht sich, dass in der Art der bildlichen Aufbereitung die Natur eine geradezu bedrohliche Präsenz bekommen soll bedrohlich nicht aus sich heraus es gibt keine Stürme, Gewitter und Erdbeben sondern durch die Unvertrautheit des Menschen Sulla mit ihren Grundgegebenheiten. Darin ist Sulla, obwohl sich der Stoff antikisierend gibt, ganz moderner Stadt- und Staatsmensch, modern eben in seiner Entfernung von den natürlichen Gegebenheiten, die nur in Momenten der Muße virulente Gegenwart bekommen. Hier stellt sich sofort die Frage der Wirklichkeit des Stoffes und damit als erstes die Frage der Kostüme. Ich habe den Eindruck, dass es dem Stoff Schärfe nimmt, wenn ich Sulla einfach in einem römischen Kostüm durch die Gegend laufen lasse, andererseits ist es aber gerade das Antike, das dem Wahn der sullanischen Innenwelt drastische und groteske visuelle Plausibilität verleihen kann die Errichtung eines «Fotzenheiligtums» ist in finanzieller und ideologischer Hinsicht und auch von der individuellen inneren Erkenntnisfähigkeit her heutzutage ein Ding der Unmöglichkeit. Es heißt, dass Sexualität, über die wir lachen können, immer die Sexualität der anderen wäre, und wenn Sulla in einem römischen Kostüm steckt, ist er soweit von uns weggerückt, dass sein Masturbieren uns nur noch als vergangene Kuriosität betrifft. Andererseits scheint mir der Rückgriff auf gegenwärtige Kleidung abgeschnittene Jeans oder gepflegte Anzüge wie in Chéreaus Wagner-Inszenierungen, die etwas von der Wahnhaftigkeit der Bürgerlichkeit suggerieren sollen auch zu schäbig und kurz gesprungen, denn die antiken Bestandteile des Textes würden sich dann zu weit von der Bildoberfläche entfernen. Mir schwebt daher ein Zwischenzustand vor, etwas, das nicht mehr Antike aber auch nicht Gegenwart ist.

Durs Grünbein
SULLA ODER DAS V-HEILIGTUM
BEMERKUNGEN ZU EINEM FILM VON KLAUS WYBORNY

Ich bin kein Cineast. Auch wenn ich mittlerweile wohl hunterte Filme gesehen habe, zumeist mit wenig Appetit und fast jedesmal heimlich bestürzt über den hohen Rauschanteil der meisten und meine blöde Empfänglichkeit für jeglichen Bilderreiz. Im Grunde meines Herzens bin ich ein Leser, das heißt ein Mensch, der erst im Spiegel des Geschriebenen sich begreift, sein Ich gekettet an den immer wieder entschwindenden Text. Der Streifen aber, von dem hier gesprochen wird, ist mir als einer der radikalsten in Erinnerung geblieben, gerade weil er mir wie ein Buch entgegenkam. Die Rede ist von Klaus Wybornys Film "Sulla" nach dem gleichnamigen Roman des Autors, 2002 uraufgeführt.

Im Mittelpunkt steht eine Figur aus der römischen Geschichte, eine markante Erscheinung: der Prototyp des modernen Feldherrn und politischen Abenteurers. Lucius Conelius Sulla, geboren 138 und gestorben im Jahre 78 vor Christus. Was man von ihm wissen muß, ist, daß er die längste Zeit seines Lebens Kriege führte, die meisten siegreich. Unter anderem schlug er den Schwarzmeerkönig Mithridates VI. zurück, den gefährlichsten Widersacher Roms seinerzeit. Als man ihn um den verdienten Triumph bringen wollte und seinen Posten als Konsul, warf er das Heer nach Italien zurück und ging zum Bürgerkrieg über. Später handelte er mit dem Erzfeind vom Pontos einen Frieden aus, reorganisierte die Verwaltung der asiatischen Provinzen und herrschte bis ein Jahr vor seinem Tod in Rom als Dikatator. Er war ein Haudegen und gleichzeitig ein Schöngeist, manisch, ein Tatmensch, hochkultiviert, der 22 Bände Memoiren schrieb, eine Schwäche hatte für Aphrodite, die Göttin, und sich als Baumeister, Rechtsexperte und Philospoph aufspielte, wo immer es ging. Ungeklärt bleibt, was Julius Cäsar gemeint hat, der ihn einen politischen Analphabeten schimpfte. Sulla gilt als derjenige, der den Baustoff Zement in die Architektur eingeführt hat und die flächendeckende Betonbauweise. In seine Zeit fällt die Erfindung der Dusche, auch Das hängende Bad genannt. Seinen Zeitgenossen blieb er ein Rätsel. Der Mann war, selbst für antike Verhältnisse, was man einen Exzentriker nennt. Wie es weiterging mit der Macht, kann man bei Sallust lesen in seiner Studie über seinen Nachfolger "Die Verschwörung Catilinas".

Vor kurzem stieß man in der Zeitung auf folgendes Fundstück. Unter der Überschrift "Sullas Rückkehr" stand da: "Nahe der Kleinstadt Orchomenos bei Athen ist ein römsich-antikes Siegesmal entdeckt worden. Es ist dem Sieg des Imperiums über den Schwarzmeerkönig Mithridates gewidmet. Das rund zwei Meter große Marmor-Denkaml sei 86 vor Christus geweiht worden und zeige mit Brustpanzer und Helm ein klassiches Trophainon, teilte das Athener Kulturministerium mit. Patron sei der römische Feldherr Lucius Cornelis Sulla gewesen, der Mithridates bei Athen besiegte. Das Denkmal soll im kommenden Jahr restauriert und zur Besichtigung freigegen werden."

Das also ist der Mann. Wie aber kommt eine Gestalt wie diese in einen deutschen Autorenfilm? Soviel ist sicher: in der jüngeren Filmgeschichte ein singulärer Fall. Das Sandalen-und Toga-Genre ist, sieht man von Hollywood-Schlußverkäufen wie "Gladiator" und "Alexander der Große" ab, entweder mausetot oder es kehrt allenfalls noch als Lachnummer wieder, in Form der Parodie. Erklären läßt sich ein Projekt wie dies sich nur mit dem Interesse des Autors und Regisseurs Klaus Wyborny für den Modellcharakter dieser antiken Figur.

Geschildert wird, minutiös und in voller Spielfilmlänge, ein Tag aus dem Leben des Sulla. Es ist die entscheidende Stunde seines Lebens, der Moment, da der Feldherr auf seinem Marsch nach Rom innehält und die Zeichen befragt. Der Ort: ein Pinienhain in der Nähe von Tarracina, es gibt ihn noch heute. Er entzieht sich den Blicken seiner Soldaten, um ungestört seinen Betrachtungen nachzuhängen und dabei kommt er auf allerlei feuchte Gedanken. Ein innerer Monolog setzt ein, gegliedert in sieben Kapitel, nach Art der Traktate, wie man sie von römischen Schriftstellern kennt, von Cicero und Seneca, auch sie philosophierende Politiker: "Von der Baukunst" etwa, "Über Ehe und Familie" und "Von der Leidenschaft". Vorgeführt wird, mit einem Wort: das klassisch angewandte Denken.

Aber wie zeigt man das? - Indem man die Kamera so ruhig wie möglich auf Schauplatz und Gegenstand konzentriert. Der Zuschauer sieht die allmähliche Verfertigung eines Films aus dem Fluß der Gedanken. Was er vor sich hat, ist ein Leinwandgebilde im Stil des Nouveau Roman. Dieselbe Experimentalmethode beschreibender Akribie, dieselbe Erzähltechnik einer Fixierung aufs Detail. Und ihr Effekt ist die Dehnung der Zeit infolge der Verlangsamung des Satz- (in diesem Falle Bild-) Rhythmus und seiner Anpassung an den realen Wahrnehmungsfluß des Lesers (hier des Betrachters) in seiner unmittelbaren Gegenwart. Ein literarischer Film mithin, aber nicht im Sinne der Literaturverfilmung, sondern dem Lektüreprinzip nach. Bild, Schnitt und Sequenz fallen dieselben Aufgaben zu, die in einem Prosawerk die Kombination der Worte, Interpunktion und Satzbau zu leisten haben. Die Kamera bleibt gewissermaßen in fortwährender Schreibbewegung. Worte und Bilder - Wyborny hat das Grundgesetz ihrer Differenz einmal so formuliert: "Bilder von physisch realen Objekten sind ihrer Natur nach viel polyvalenter als Worte, die diese beschreiben. Denn die Objekte sind notwendig Teil einer realen Welt, die bei der Abbildung mitabgebildet wird." Essentiell ist aber auch die Funktion der Sprecherstimme; es ist die des Filmautors selbst. Produktion, Buch, Regie, Kamera, Musik und Schnitt, alles lag hier in einer Hand. Wyborny ist etwas Außerordentliches gelungen: ein Film, der sich wie ein Buch lesen läßt. Es hat daher seine eigene Logik, wenn der Autor empfiehlt, man möge sein Werk kapitelweise betrachten, womöglich mit Unterbrechungen.

An dieser Stelle sei erwähnt, daß Klaus Wyborny seit vielen Jahren an einem Riesenwerk schreibt, einer "Comédie Artistique" - also Künstlerkomödie, breit angelegt in zwölf Bänden, in der ein Mensch zu Wort kommt, ein unruhiger Weltreisender, Erotomane und loser Artist, der in einem wild entfesselten Redestrom vorführt, was es heißt, im wahrsten Sinne des Wortes erkenntnisgeil zu sein. Ein wenig von solcher Obnsession schimmert auch in "Sulla" durch. Auch hier gibt es das Motiv der Frau, die als Domina, Halbgöttin, Sexualphantasie den Helden in Trab hält. Begehren ist bei Wyborny ganz klar eine Form des Slapsticks, selbst wenn es sich nur im Kopf abspielt, es erzeugt seine eigene Situationskomik, die identisch ist mit Wybornys Art von Humor. Im Film ist er präsent in Gestalt einer gewissen Mathilde, der Sulla einen Tempel errichten will zu Verherrlichung dessen, was bei den Römern cunnus hieß und bei uns die weibliche Scham. Die Fotze, das ist es. Wie von den lästigen Pferdeäpfeln rings um ihn her, wird Sulla immer aufs neue abgelenkt von den Gedanken an sie, die bewußte Stelle, den Riß im Gewebe der Welt. Hier, vorm Dunkel des Fleisches, werden die kühnsten Pläne zuschanden. Der Schoß ist der Ort, an dem alle Dialektik zu delirieren beginnt.

Wer ist diese Mathilde, von der die Annalenschreiber uns nichts überliefern? Im Film figuriert sie, nach einer Aussage des Autors, als Allegorie für das unterworfene Griechenland. Sie steht für eine ältere, feinere, aber auch unterlegene Kultur, die nun von Rom unterjocht wird. Griechenland liegt entweiht und politisch geschwächt, aber Sulla will ihm, in Gestalt dieser Frau, ein Denkmal errichten. Derselbe Sulla, von dem es heißt, daß er der erste war, dem man in Rom ein Reiterstandbild verehrte. Sein Gehirn prahlt vor sich hin in der Mittagshitze dort am "Berg der Circe". Er will für Mathilde ein Heiligtum bauen, ein Fotzen-Heiligtum, aus dem dem brandneuen Baustoff Zement, mit dem er in seiner Amtszeit halb Italien überzog. Wo Fleisch war, soll Stein sein!

Um solcherlei Oppositionen kreist Klaus Wybornys Film. Es geht um Rom und Griechenland, um das männliche und weibliche Prinzip in der Geschichte. Es geht um Ordnung und Pornographie, Eros und Thanatos in Form eines Gedankenexperiments. In wenigen Zeichen und Bildern, die beharrlich wiederkehren, entwickelt seine Ästhetik ihr fundamentales Thema. Er zeigt das Heroische als Urgrund des Komischen, die Sexualität an den Wurzeln der Macht. Es ist ein Traktat über das Begehren, ohne daß ein Stück nacktes Fleisch auf der Leinwand erscheint. Ganz nebenbei ist der Film ein Plädoyer gegen jedes Entweder-Oder-Denken in Geschichtsschreibung und Moralphilosophie. In seiner erzählerischen Strenge erinnert er an Hermann Brochs "Der Tod des Vergil", in seiner Verfremdungstechnik an die großen Filmessays von Straub und Huillet.

Sein insgeheimes Motto stammt aus vorsokratischer Zeit. Es lautet: "Sein ist - jemandem erscheinen".

© Durs Grünbein, März 2005
Leicht überarbeitete Einführung zu einer Projektion von SULLA in der Volksbühne Berlin am 1.2.2005

 

 

Credits

Regie, Buch, Kamera, Musik, Schnitt
Klaus Wyborny
Mit
Hanns Zischler, Corinna Belz, Gert Schaefer, Christian von Maltzan, Charles Regnier, Raphael Lenné, Christopher Mondt, Marlis Roth, Hanno Willig, Philipp Pfeiffer
1. Kameraassistent und Licht

Philipp Pfeiffer
2. Kameraassistent und Ton
Christopher Mondt
Ausstattung
Uta Reichardt
Anne WiIlig-Lüchow
Sound Design
Hartmut Teschemacher
Geräusche
Martin Langenbach
Mischung
Pierre Brand
Produktionsleitung
Marlis Roth
Produktionsassistenz
Christian von Maltzan
Produzent
Klaus Wyborny
Produktion
Typee-Film
Uraufführung (NL)
Januar 2003, Rotterdam, IFF
Erstaufführung (DE)
23.10.2003, Hof, Internationale Filmtage