
Stadt als Beute
D 2005, 93 min
Drei Geschichten zwischen Bühne und Leben – aufregendes junges deutsches Kino und ein echter Berlin-Film!
Streaming-Info
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Sprache: Deutsch, Untertitel: Englisch
Pressestimmen
Stadt als Beute ist ein faszinierender, höchst anregender Low-Low-Budget-Film, der souverän mit seinen (monetär begrenzten) Mitteln und Möglichkeiten operiert und dabei wie aus einem Guss wirkt - trotz dreier unterschiedlicher Regisseurinnen, die einen sehr kreativen Weg gefunden haben, ihre Kräfte zu bündeln und auf diversen Ebenen spielerisch zu verknüpfen, flott und erstaunlich leicht. Dabei wäre der Film durchaus auch politisch zu deuten, wobei er kein agitierendes Thesenpapier ist, sondern eine höchst rhythmische, subtile und sogar humorvolle Städtetour, die zwischen dem Konkreten und Greifbaren hindurchhorcht, um Stimmungen und Befindlichkeiten einzufangen. (Horst Peter Koll, Film-Dienst, 13/2005)
Schrill, leidenschaftlich, wunderbar. (Tagesspiegel)
Irene von Alberti, Miriam Dehne und Estther Gronenborn griffen sich ‚Stadt als Beute‘ und zerren das Material auf die Straßen Berlins. Auf drei Akteure gesplittet, beleuchtet jede Regisseurin einen Aspekt von Polleschs Entfremdungsthesen (...). Das Resultat ist großartig, eine spannende, vielschichtige Reflexion über Individualität im künstlerischen Reproduktions- und Verwertungskontext. (Cristina Moles Kaupp, tip Berlin)
Preise und Festivals
- Berlinale Forum 2005
- Preis der C.I.C.A.E. (Internationaler Verband der Filmkunsttheater) - Lobende Erwähnung / Berlinale Forum 2005
Weitere Texte
Die Regisseurinnen über STADT ALS BEUTE
Irene von Alberti über MARLON
Was hat Standortpolitik mit mir zu tun? An wen verkaufe ich mich da Stück für Stück? Welchem Unternehmen wurde ich einverleibt, das jetzt seine Wurzeln gekappt hat und nun elektronisch um die Welt rast? Extrem beunruhigende Fragen, die ich zum ersten Mal ausgerechnet im Theater gestellt fand, während da draußen in der Stadt kaum ein Mensch mehr so leben oder arbeiten kann, wie er es mal geplant hatte, wo sich jeder ständig nur orientieren muss. In der kleinen heimlichen Wohnbühne des Praters erlebte ich furiose Darbietungen von René Polnischs Stücken. Ausbrüche voller Verzweiflung, wahnwitzige Texte. Wie schafft ein Schauspieler so einen Text, wie probt man so ein Stück? Sind diese Texte überhaupt alltagstauglich? Funktionieren die Worte noch, wenn man sie mit nach Hause nimmt? Und: Funktionieren sie auch in einem Film?
So entstand die Idee zu diesem Projekt. Um verschiedene Standpunkte und Sichtweisen auf die nach allen Seiten offenen Texte zu bekommen, fragte ich meine Kolleginnen, Esther Gronenborn und Miriam Dehne, ob sie Lust hätten, bei diesem Film mitzumachen. Als Konzept und Rahmen für den Film diente uns das verbindende Element aus fiktiven Theaterproben. René Pollesch in der Rolle des Regisseurs probt mit verschiedenen Schauspielern. Die wiederum bekommen in jeder Episode ihre eigene Geschichte. Die Schauspieler nehmen Begriffe aus dem Text in ihr Leben und erfahren sie dort am eigenen Körper, einfach und nachvollziehbar. Die Hauptfigur meiner Episode, Marlon, ist neu in diesem Theater und neu in der Stadt. Da die Menschen, denen er in der Stadt begegnet, offenbar nach ganz anderen Regeln spielen als denen, die er kennt, scheint er sich immer weiter von seiner Aufgabe zu entfernen, um am Ende völlig desillusioniert doch noch den Bezug zu seinem eigenen Handeln zu finden.
Miriam Dehne über LIZZY
Zwischen Sehnsucht und Glamour, Rausch und der gleichzeitigen Suche nach Geborgenheit und Liebe geht es mir in LIZZY um die Darstellung eines „Disneyland after dark“, einer Welt in der man sich zuviel aussuchen darf und doch nichts wirklich behalten kann. Besonders gereizt hat mich bei dem Theaterstück „Stadt als Beute“ von René Pollesch die Deutlichkeit, mit welcher der Text „Sexappeal als Waffe“ und „Die Käuflichkeit des Körpers“ thematisiert. Der Ort ist die Stadt. Berlin bietet in seiner Zerrissenheit keinen Schutz, keine Behaglichkeit, wo kann man bleiben? Im Prenzlauer Berg, einem Stadtteil ohne alte Menschen, ist das Theater, im menschenleeren Industriegebiet von Tempelhof plötzlich ein Tabledance-Club, am Checkpoint Charlie eine Boutique, in der niemand etwas kauft. Zwischen diesen Orten läuft Lizzy im gestohlenen Glamour-Mantel umher wie eine Mitspielerin bei Monopoly, kurz vor dem Verlieren und auf der Suche nach ihrer persönlichen Schlossallee.
Esther Gronenborn über OHBOY
Die brüchige, wilde Potsdamer Straße ist der Spielort meiner Episode Ohboy. Einst Ausgehmeile und Hausbesetzerparadies, dient sie heute höchstens noch als Durchgangsstraße. Zwischen dem Selbstmörderhaus an der Pallastraße über einem Dschungel an Billigparadiesen und Babystrichmeilen mündet sie mit ihrem einstigen schillernden Glamour nun in der glänzenden, aber sterilen Oberfläche des Potsdamer Platzes und seines schicken Sony-Centers. Auf diesen wenigen Kilometern findet sich also alles, was eine Stadt zu einer Stadt macht: ein explosives Gemisch an Menschen und eine molochartige Hintergrundkulisse von Stadtarchitektur. Wie René Pollesch sagt: „Das soziale Gefüge, das die Stadt eigentlich bedeutet kann, ist längst uminterpretiert. Die Stadt ist nicht mehr für die Bewohner da, sondern nur noch ein Ort, an dem Überlebenskampf stattfindet. Die Fläche und ihre Gebäude dienen nicht mehr dazu, dass Menschen sich dort aufhalten, sondern sind höchstens Objekte von Spekulationen oder glänzenden Fassaden, um Investoren anzulocken. Sie haben nichts mehr mit den Bewohnern der Stadt zu tun.“ Die Hauptfigur meines Films ist der Lebenskünstler und Schauspiellaie Ohnboy. War er wirklich mal Stricher, wie seine Schauspielkollegen annehmen? Keiner weiß es so genau. Für den Regisseur des Theaterstücks, dargestellt von René Pollesch, verkörpert er genau das, was er mit dem Text ausdrücken will: „Ohboy ist Beute.“ Deswegen hat er ihn besetzt. Das Problem aber ist: Ohboy kommt gar nicht zu den Proben. Er verweigert sich. Statt sich in den dunklen Proberaum zu setzen, läuft er lieber die Potsdamer Straße entlang und versucht, sich den komplizierten Text vor Ort zu erarbeiten. Was die anderen als Provokation auffassen, ist in Wirklichkeit Ohboys Kapitulation vor seiner neuen Aufgabe als Schauspieler. Für die anderen ist seine Verweigerung Ausdruck mangelnder Professionalität, für ihn ist es nackte Angst. „Es geht um Strategien, sich hier durchzuschlagen“, sagt René Pollesch an einer Stelle meines Films – und dies genau habe ich versucht, auf der Potsdamer Straße dazustellen: All die Menschen, denen Ohboy auf seiner langen Wanderung begegnet, bebildern den Zustand der Stadt. Das soziale Gefüge ist längst aufgelöst. Hier kämpft jeder gegen jeden und am meisten gegen sich selbst.
Stadt als Beute
Vollständige Kritik von Horst Peter Koll (Film-Dienst, 13/2005)
Dies ist keine Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks des umstrittenen, gleichwohl hoch prämierten Autors und Regisseurs Rene Pollesch – was wohl auch kaum möglich wäre, funktioniert die geballte Sammlung von furiosen Sentenzen, die im September 2001 erstmals in der Prater Wohnbühne der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz aufgeführt wurde, doch primär als „Rezitationsgewitter“ ohne sonderliche narrative Erdung, wie sie das Kino (meistens) braucht. Dass es Pollesch mit „Stadt als Beute“ fertig brachte, die Komplexe „postfordistische Subjektivität und Arbeitsverhältnisse“ sowie „die Umstrukturierung der Städte durch Privatisierung und Ausgrenzung“ unter Verwendung Foucaultscher Begriffe vom soziologischen Schreibtisch aus auf die dramatische Bühne zu bringen, wie es in einer Rezension so schön plastisch formuliert wurde, könnte von einer konkreten filmischen Adaption zusätzlich abschrecken. lrene von Alberti bringt jedoch ihr Interesse an Pollesch und seiner Auseinandersetzung mit der modernen Lebens- und Arbeitswelt nachvollziehbar und sehr anregend auf den Punkt: Die Sätze sind für sie keine Dialoge, sondern Diskurse, bei denen alles gleichzeitig stattfindet und damit quasi alles möglich, denkbar und assoziierbar wird – eine höchst schöpferische intellektuelle Spielwiese also, auf der man grast und pflückt, um eigene Schwingungen und Gedanken auszuloten und sie auch filmisch zu erschließen. Urbane und menschliche Standortbestimmungen bedingen einander dabei; genauso, wie die kalte Technologie der Großstadt die Einsamkeit und Verzweiflung der Menschen befördert, hält der Mensch seinerseits dagegen, verweigert sich intuitiv der Fremdbestimmung auf vielerlei Art und Weise, will nicht Beute der Stadt sein, sondern sie sich nutzbar machen, sich ihrer bedienen, sie „erbeuten“.
Es ist eine bezwingende Idee, sich Polleschs theoretischem Konzept durch kleine filmische Geschichten quasi von außen zu nähern, um es „sinnlich“ erfahrbar zu machen: Drei junge Menschen stehen im Zentrum einer Bühnenprobe unter der Regie von Pollesch, stehen mal ratlos, mal amüsiert, dann aggressiv und unwirsch dem Text (und den Mitspielern) gegenüber, bemühen sich um Deutung, Intonation und Interpretation und werden dabei, mehr oder weniger hilfreich, vom Regisseur „gecoacht“ . Der ist manchmal weniger Impresario als eher ein verkappter Therapeut der nicht nur Fordert sich in die Texte einzudenken und einzufühlen, sondern beharrlich erläutert, warum es gerade die ausgewählten jungen Schauspieler sind, die sein „Material“ durchformen: Sie leben in der Großstadt, sind Teil davon, Suchende und Ratlose, Neugierige und Verunsicherte, Lebens(un)tüchtige, (Über-) Lebenskünstler, auch Selbst- Darsteller.
Nicht minder faszinierend ist, dass sich den drei zentralen Figuren drei unterschiedliche Regisseurinnen angenommen haben, um sie aus der Probensituation hinaus „ins Leben“ zu begleiten. Dabei passiert etwas sehr Spannendes: Polleschs abstrakte Textphrasen schwingen nach und halten der Alltagsprüfung stand. Assoziationen vernetzen sich, ähnlich wie sich gelegentlich die Wege der drei kreuzen, sich verwandte Situationen ergeben und zum vitalen, authentischen Diskurs über Stadt und Beruf, Einsamkeit und Freundschaft, Sehnsucht und Leidenschaft, Angst und Isolation verflechten.
Da ist zunächst Marlon. Er ist neu in der Stadt, unsicher und linkisch. Polleschs Text macht ihn ratlos und aggressiv. Er schleppt ihn wie einen Ballast mit in seinen Alltag: in seine provisorische Unterkunft in einer Wohngemeinschaft, wo er die Verantwortung aufgezwungen bekommt, auf ein einsames Kind aufzupassen, und einem Rivalen um die Theaterrolle begegnet. Marlon gerät auf eine nächtliche Odyssee und bekommt wortwörtlich eins auf die Nase, bevor er wieder zur Probe erscheint – blutend, verletzt, womöglich um einige vage Erfahrungen „reicher“. Lizzy ist weit selbstbewusster und „stadttauglicher“. Für eine Filmpremiere, die sich an die Probe anschließt, stiehlt sie einen Designer-Mantel und landet in einer Nachtbar, die lediglich von einer naiven Blondine an der Tanzstange sowie dem jungen Geschäftsführer besetzt ist. Die wenigen räumlichen wie thematischen Vorgaben werden zum mitreißenden Parforce-Ritt für eine faszinierende Inga Busch, die sich in der seltsam tranceartigen Episode, aber auch den kurzen Probeszenen mit Pollesch regelrecht „auslebt“, lacht und schreit, gurrt und tanzt – erotisch und zugleich souverän verfremdend. Gleichwohl gibt „ihre“ Lizzy sich nicht preis, schlüpft am Ende in eine andere Identität, die sie dem Geschäftsführer „gestohlen“ hat, der sie womöglich seinerseits erfunden hat. Ohboy schließlich stammt aus einem gänzlich anderen sozialen Milieu. Er lebt vom Sozialamt und vor allem von vielen Illusionen, die signalisieren sollen, dass er doch eigentlich „alles im Griff“ hat. Er hat nicht nur intellektuell Angst vor den komplizierten Pollesch-Texten, drückt sich vor der Probe, treibt durch Berlin und schimpft aufs Sony-Gebäude – gleichwohl mit Polleschs Worten, die also nicht sang- und klanglos an ihm abprallen. Am Ende kommen die drei wieder im Theater zusammen, wo sich ihre individuellen Erfahrungen „entladen“, bevor der Premierenabend naht. „Stadt als Beute“ ist ein faszinierender, höchst anregender Low-Low-Budget-Film, der souverän mit seinen (monetär begrenzten) Mitteln und Möglichkeiten operiert und dabei wie aus einem Guss wirkt – trotz dreier unterschiedlicher Regisseurinnen, die einen sehr kreativen Weg gefunden haben, ihre Kräfte zu bündeln und auf diversen Ebenen spielerisch zu verknüpfen, wobei kaum der Eindruck des Episodischen entsteht. Flott und erstaunlich leicht ist bereits der Einstieg, der jede „Angst“ vor der Komplexität des Theatersujets nimmt und geschickt dessen Emotionalität erschließt. Dabei wäre der Film durchaus auch politisch zu deuten, wobei er kein agitierendes Thesenpapier ist, sondern eine höchst rhythmische, subtile und sogar humorvolle Städtetour, die zwischen dem Konkreten und Greifbaren hindurchhorcht, um Stimmungen und Befindlichkeiten einzufangen.
Credits
Buch und Regie
Irene von Alberti, Miriam Dehne, Esther Gronenborn (nach einem Theaterstück von René Pollesch)
Mit
Richard Kropf, Inga Busch, David Scheller, Julia Hummer, Stipe Erceg, René Pollesch, RP Kahl, Anne Osterloh, Eve Natthawat- Kritsanayut, Elisabeth Rolli, Tatiani Katrantzi, Tina Pfurr
Kamera
Dirk Heuer, Felix Leiberg, Patrick Waldmann
Kameraassistenz
Wini Sulzbach, Jens Köppelmann
Schnitt
Robert Kummer, Daniela Kinateder
Musik
Don Philippe, und Songs von Kissogram, Naked Lunch, Boy from Brazil, Dead Meadow, Sitcom Warrior, Navel, Jeans Team und Julia Hummer
Szenenbild
Anette Kuhn, Irina Kromayer, Anne Gumbrecht
Szenenbild Assistenz
Inga Damberg, Jörn Lachmann
Kostüm
Gina Krauß, Lidia Visconti
Ton
Wolfgang Widmer
Ton Assistenz
Felix Karrenbauer, Susanne Elgeti
Tongestaltung
Jochen Jezussek
Mischung
Matthias Schwab
Regieassistenz
Kathrin Krottenthaler, Viviana Kammel, Meike Sieveking
Aufnahmeleitung
Bernd Gaul
Produktionsleitung
Christoph Amshoff
Produzent
Frieder Schlaich
Produziert von
Filmgalerie 451
In Koproduktion mit
ZDF (Claudia Tronnier), Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Gefördert von
Filmförderung Baden-Württemberg, Medienboard Berlin-Brandenburg, Royal Produktion
Uraufführung (DE)
15.02.2005, Berlin, IFF – Forum
Kinostart
23.06.2005
DVD-Infos
Extras
Making-of (25 min), Interview mit René Pollesch (10 min), Trailer, Premierenbericht Berlinale 2005, Kissogram-Clip
Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Regionalcode
Code-free
System
PAL / Farbe
Laufzeit
93 min + 35 min Extras
Bildformat
16:9
Tonformat
DD 2.0 + 5.1
Inhalt
Softbox (Set Inhalt: 1), 12-seitiges Booklet
Veröffentlichung
16.12.2005
FSK
Ab 12 Jahren
Kinoverleih-Infos
Verleihkopien
DVD
35mm (16mm Blow Up, Dolby SR, über Deutsche Kinemathek)
Bildformat
35mm, 1:1,85
Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Werbematerial
A1-Poster
Lizenzgebiet
Weltweit
FSK
Ab 12 Jahren