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Revision

D 2012, 106 min

Ein Dokumentarfilm wird zur filmischen REVISION. Scheffner rekonstruiert die Umstände, die 1992 zum Tod zweier Männer auf einem Feld nahe der deutsch-polnischen Grenze führten. Mit zunehmend beklemmender Dichte webt er ein Netz aus Landschaft und Erinnerung, Zeugenaussagen, Akten und Ermittlungen.

Synopsis

Am 29. Juni 1992 entdeckt ein Bauer zwei Körper in einem Getreidefeld in Mecklenburg-Vorpommern. Ermittlungen ergeben, dass es sich bei den Toten um rumänische Staatsbürger handelt. Sie werden bei dem Versuch, die EU-Außengrenze zu überschreiten, von Jägern erschossen. Diese geben an, die Menschen mit Wildschweinen verwechselt zu haben. Vier Jahre später beginnt der Prozess. Welcher der Jäger den tödlichen Schuss abgegeben hat, lässt sich nie beweisen. Das Urteil: Freispruch.
In den Akten stehen die Namen und Adressen von Grigore Velcu und Eudache Calderar. Ihre Familien wussten nicht, dass jemals ein Prozess stattgefunden hat. 
Mit REVISION wird ein juristisch abgeschlossener Kriminalfall einer filmischen Revision unterzogen, die Orte, Personen und Erinnerungen miteinander verknüpft und ein fragiles Geflecht aus Versionen und Perspektiven einer „europäischen Geschichte“ ergibt.

Streaming-Info

Der Film ist über unseren Vimeo-Kanal zum Leihen oder Kaufen erhältlich.
Sprache: Deutsch, Romani, Rumänisch, Untertitel: Deutsch, Englisch

Pressestimmen

Brillant. (Der Standard) 

Einer der interessantesten Filme der Berlinale. (Der Freitag) 

REVISION ist vielleicht einer der wichtigsten Filme der jüngeren deutschen Geschichte. Ohne Zweifel ist dieses einzigartige dokumentarische Kino eine unerbittliche Bestandsaufnahme deutscher Abgründe – mitten in Europa. (Filmanzeiger) 

Was Scheffners unerbittlich genaue Archäologie zutage fördert, raubt einem den Atem. (Die Welt) 

Herausragend – Klug und kunstvoll verschränkt der Film die nie abgeschlossene Vergangenheit mit einer Gegenwart, die sich dem Schweigen und Verdrängen verschrieben hat. (Berliner Zeitung) 

Ein Musterbeispiel investigativer Arbeit. Ohne aktivistischen Eifer, dafür mit bohrender Geduld und Präzision, umkreist der Film in einem fast schon archäologischen Prozess den Vorfall und seine Vor‐ und Nachgeschichte, er trägt Schicht um Schicht ab, um zur Wahrheit vorzudringen. (critic.de) 

In „Revision“ werden die Hintergründe der Todesfälle rekonstruiert, gleichzeitig wird eine Geschichte von Auslassungen, Widersprüchen und Ausgrenzungen sichtbar – die eine zunehmend beklemmende politische Dimension entwickelt. (Tip Berlin) 

Preise und Festivals

- Berlinale Forum 2012
- Bester Dokumentarfilm - GoEast Filmfestival 2012
- Fritz-Gerlich Filmpreis - Filmfest München 2012
- Award of Excellence - Yamagata International Documentary Film Festival Japan 2013
- Bild-Kunst Schnitt Preis für die Montage des Films REVISION 2013

Weitere Texte

Statement des Regisseurs 

Der Film beginnt mit dem Ende einer Geschichte: Laut einer Statistik der NGO „Fortress Europe“ wird in der Presse zwischen 1988 und August 2009 über mindestens 14.687 Menschen berichtet, die entlang der europäischen Grenzen starben. Ihr Tod macht sie in Form einer Nachricht zu einem Teil europäischer Geschichte – und entzieht ihnen gleichzeitig das Recht auf eine eigene Stimme in der Geschichtsschreibung. Sie erscheinen als stumme Zeugen eines europäischen Sicherheitsdiskurses, der sich vor allem um sich selbst dreht – und diese Toten billigend in Kauf nimmt.
REVISION ist ein Versuch, die offenen Enden einer solchen Nachricht aufzunehmen und die filmischen Möglichkeiten auszuloten, ihre Protagonisten als Akteure einer Geschichte zu verstehen. Einer Geschichte mit vielen Anfängen.

Wo und wann beginnt diese Geschichte? Am 29.06.1992 auf einem Getreidefeld nahe der deutsch-polnischen Grenze? Zur gleichen Zeit in einem Asylbewerberheim in Rostock? Ein paar Monate vorher in Rumänien? 19 Jahre später, wenn die Familien der Getöteten davon erfahren, dass die Angeklagten frei gesprochen wurden? Mit der Titelsequenz des Films?
Der Film rekonstruiert biografische und politische Perspektiven der Erzählung, die gleichzeitig die Bedingungen und Konventionen meiner eigenen, filmischen Narration als Teil eines politischen Gesamtzusammenhangs thematisieren und in Frage stellen. Auf der formalen Ebene war die Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Aussage“ wichtig: Dieser Begriff bildet die Schnittmenge zwischen einem juristischen Ermittlungsverfahren bzw. einem Prozess und der Arbeit des dokumentarischen Filmemachers. Interessanterweise ist das juristische Verfahren, das in REVISION eine Rolle spielt, genau an diesem Punkt gescheitert: der Tathergang ließ sich anhand der Aussagen nie eindeutig rekonstruieren.
Juristisch wird ein Zeuge als eine Person bezeichnet, die über „wahrgenommene Tatsachen berichten soll“. Die reine Wahrnehmung allein reicht nicht aus – sie muss gegenüber einer anderen Person oder einer Institution „berichtet“ bzw. „bezeugt“ werden. Damit eine Person zu einem Zeugen werden kann, bedarf sie immer eines Gegenübers – eines Zuhörers, der wiederum als Zeuge der eigentlichen Zeugenaussage fungiert. Die Auseinandersetzung mit diesem komplexen Spannungsverhältnis zwischen Sprechendem und Zuhörendem spielt im Film eine zentrale Rolle. Die Akteure erscheinen in unterschiedlichen Rollen: Ein Zeuge versucht sich zu erinnern – er beginnt zu sprechen. In einer weiteren Einstellung hört er seiner eigenen Erzählung zu – er kann die Erzählung anhalten, kommentieren oder berichtigen. Im Moment des Zuhörens wird er Zeuge seiner eigenen Aussage und stellt damit eine Verbindung zum Betrachter her. Dieser erlebt die REVISION des Gesagten.
Im Laufe der Dreharbeiten habe ich das gefilmte Zuhören als einen sehr aktiven Prozess erlebt. Es gibt der Person vor der Kamera ein Mittel der Kontrolle und verändert die Machtverhältnisse im Raum. Der Moment des Dokumentarischen, die scheinbare Authentizität, die entsteht wenn jemand vergisst, dass die Kamera läuft, wird bereits im Moment der Aufnahme gebrochen.

© pong Kröger und Scheffner, 2012

Nachhall
Aus dem Katalogtext des Berlinale Forum, Nicole Wolf, 2012  

Hätte es sie bereits zur Tatzeit – 3 Uhr 45 am Morgen des 29. Juni 1992 – gegeben, dann wären wohl die Windmühlen zu den wichtigsten Zeugen geworden. Hören wir jedoch genau hin, lässt sich dennoch eine bezeugende Resonanz der Befindlichkeit des Tatorts und seiner Geschichten in den Bewegungen der Mühlen erkennen: mal langsam, zäh und daher fast still, mal energetisch angetrieben und eindringlich laut rotierend.
Revision fesselt unsere Aufmerksamkeit wie ein Kriminalroman, den wir nicht mehr beiseitelegen können. Mit scheinbarer Leichtigkeit und einer präzise durchdachten Erzählstruktur führt der Film uns eine Fülle an Materialien und Aussagen vor. Dabei fokussiert und verdichtet sich einerseits unser Blick auf das zu ermittelnde Tötungsdelikt, gleichzeitig aber eröffnet sich eine immense Tragweite politischer Verantwortlichkeiten, derer sich zu erinnern heute wie gestern und morgen unerlässlich ist. Revision verlässt das Kriminologische und das Dokumentarische und schafft einen tribunalartigen Verhandlungsraum als filmformales und politisches Ereignis. Indem der Film genau mit und an den Grenzen dieser Repräsentations- und Erzählformen arbeitet, gelingt es ihm, gleichzeitig die Mechanismen auch dieser Form der alternativen Gerichtsbarkeit zu verhandeln, ohne dabei den Fokus auf das Eigentliche in der Reflexion zu verlieren.
Die Familien der beiden Getöteten Eudache Calderar und Grigore Velcu – zwei Väter und Ehemänner auf dem Weg von Rumänien nach Deutschland – waren für die Verhandlungen der verantwortlichen deutschen Justiz nicht relevant, ebenso wenig wie es eine genaue Untersuchung des Tatorts war: ein Getreidefeld nahe Nadrensee, gelegen in Deutschland an der polnischen Grenze und daher 1992 an der Grenze der Europäischen Union. Calderar und Velcu sind zwei der 14.687 Einwanderer, die zwischen 1988 und 2009 an der Grenze der EU starben – so die in der Presse berichteten Zahlen der NGO Fortress Europe.
Eigentlich tut der Filmemacher zusammen mit seinem Team nur genau das, was aus verschiedensten Gründen unterlassen worden ist: Er recherchiert gründlichst, befragt alle auffindbaren Zeugen, rekonstruiert die Koordinaten der Tat am Tatort bis in jedes ersichtliche Detail, und vor allem sucht er die unmittelbar Betroffenen auf, nämlich die Familien und Nachbarn der Toten. Neben dieser Veranwortlichkeit erkennt er jedoch als grundlegendes Problem der Repräsentation, dass es in diesem Fall und seiner bisherigen Geschichtsschreibung keinen politischen und keinen rechtlichen Raum, das heißt keinen Subjektstatus für die Getöteten und ihre Angehörigen und entsprechend keinen eigentlichen filmästhetischen Raum gibt, innerhalb dessen die vorhanden Lücken einfach geschlossen werden könnten.

Ein filmisches Tribunal
Der Film muss genau diesen politischen Raum erst schaffen, um nachhaltig eine andere Narration dieses Falles – ebenso wie verwandter Fälle – zu fordern. Er tut dies, indem er das Zuhören explizit zur filmischen und politischen Methode macht. Zuhören wird Raum, Zwischenraum, innerhalb und vor dem Bild. Zuhören wird zu einem neuen filmischen Ort und politischen Raum, wird Prozess der Konstitution von Zeugenschaft. Zuhören wird zum Anhören der eigenen Aussage, zum gemeinsamen Hören und Kommentieren innerhalb der Familie, zum gemeinsamen Hören zwischen Zeugen, Filmemacher und Zuschauer. Wir, als Zuschauer, hören und sehen beim Zuhören zu. Die Zeugen konstituieren sich dabei durch ihre eigene Anhörung und nicht durch die des Filmemachers oder des Zuschauers, die ansonsten wie Richter agieren würden. Die Anrufung der Familienmitglieder als Opfer ohne „Rechte auf Rechte“ wird übergangen, indem ihre Aussagen nicht als sogenanntes „rohes Beweismaterial” gesammelt und präsentiert werden, sondern indem der Film sich die Mediatisierung von Verhältnissen konstruktiv zu eigen macht. Diese Methode wird auch für diejenigen verfolgt, deren Position im System es ihnen bereits erlaubt, Forderungen zu artikulieren oder Möglichkeiten des Systems zu verschweigen. So wird jede Stimme zur filmisch materiellen, zur akustischen, zur emotionalen, zur inhaltlichen, zur körperlichen und veräußerten, zur ästhetischen und zur politischen Erfahrung. Zugleich sind die Zeugenaussagen fehlendes Beweisstück, Material zur Rekonstruktion und Revision der Geschichte, Facetten des Sich-Mitteilens, Filmaufnahme, Initiation von nie geführten Gesprächen und Verhandlungen und Beispiel verschiedenster Texturen von Erinnerungen.
Neben den Erinnerungen an das „Schöne im Leben“ hören wir auch, wer sich nicht erinnern muss und wer sich manchmal nicht erinnern kann, weil das zu große Kopfschmerzen bereitet. Alle Zeugen, deren Perspektiven in dieses nachhaltige filmische Tribunal geladen sind, finden sich an einem anderen Anfang der Geschichte zweier Schüsse mit fatalen Folgen wieder. Diese Pluralität, Mediation und Reflexion führt weg von der Repräsentation einer vorhandenen Justiz und schafft gerade so die Möglichkeit, in der Stille nach dem Film eigene Anfänge in dieser und ähnlichen Geschichten zu finden, weiter zu fragen, zu denken, zu agieren, zu hören – und dem intensiven Nachhall von Revision ein Stück zu folgen.

Credits

Regie
Philip Scheffner
Buch
Merle Kröger, Philip Scheffner
Kamera
Bernd Meiners
Montage
Philip Scheffner
Ton
Pascal Capitolin, Volker Zeigermann
Sound Design
Volker Zeigermann, Simon Bastian
Kinomischung
Pierre Brand
Bildmastering
Matthias Behrens
Online Studio Bild
wave-line
Online Studio Ton
Zeigermann-Schmahl
Produzentin
Merle Kröger
Produziert von
pong Film
In Koproduktion mit 
Blinker Filmproduktion, Worklights Media Production
Sowie mit 
ZDF (Doris Hepp) in Zusammenarbeit mit ARTE
Produktion gefördert von
Medienboard Berlin Brandenburg, Mitteldeutsche Medienförderung, Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, Filmstiftung NRW, Deutscher Filmförderfonds
Entwicklung gefördert von
FFA, DEFA Stiftung
Uraufführung (DE) 
Berlinale IFF, Forum 2012 
Internationale Premiere 
International Documentary Festival, Toronto 2012
Kinostart (DE) 
13.09.2012

DVD-Infos

Die Filme REVISION und AND-EK GHES... sind zusammen auf DVD in der Arsenal Edition erschienen.

Extras
Interview mit Philip Scheffner & Merle Kröger zu REVISION, 32-seitiges Booklet mit Texten und Fotos zu den Filmen
Sprache
REVISION: Deutsch, Romani, Rumänisch
AND-EK GHES…: Deutsch, Romani, Rumänisch, Spanisch
Untertitel
REVISION: Deutsch, Englisch, Französisch, Portugiesisch, Rumänisch, Spanisch
AND-EK GHES…: Deutsch, Englisch
Ländercode
code-free
System
PAL, Farbe
Laufzeit
200 min + 36 min Extras
Bildformat
16:9
Tonformat
REVISION: DD 2.0
AND-EK GHES… Stereo + DD 5.1
Inhalt
2 Discs, Booklet
Veröffentlichung
15.02.2019
FSK
Ab 12 Jahren