Back to top

Ausländer raus! Schlingensiefs Container

A 2002, 90 min

Österreich im Jahr 2000: Mit der Partei FPÖ unter Jörg Haider wurde das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg eine extrem rechts stehende Partei an der Regierung beteiligt. Kurz danach zeigt der deutsche „Artist Provokateure“ Christoph Schlingensief eine einzigartige Form des Protests. Er inszenierte ein interaktives Konzentrationslager im touristischen Zentrum Wiens. Eine greifbar gemachte Satire auf Fremdenhass, Big Brother-Spielchen und neuen Nationalismus.

Synopsis

Christoph Schlingensief verwirklichte für eine Woche mitten im touristischen Zentrum von Wien eine Angstvision: Ein Abschiebecontainer für Asylanten, interaktiv beeinflußbar, rund um die Uhr beschallt mit rassistischen Ansprachen der FPÖ-Erfolgsfigur Jörg Haider und beklebt mit dessen fremdenfeindlichen Wahlplakaten. Tausende Passanten erregten sich vor Ort und wurden so zu Mitspielern in Schlingensiefs Inszenierung. Ein Scheinstück, das „das neue Europa“ aufwiegelte und das „schwarze EU-Schaf“ Österreich im Besonderen.
Im Rahmen der Wiener Festwochen ließ Christoph Schlingensief den Wohncontainer mit 12 Asylanten direkt vor die Oper stellen. Unter dem Motto „Ausländer raus!“ konnte täglich per Zuschauerabstimmung im Internet ein Bewohner „abgeschoben“ werden. In Form der damals viel diskutierten medialen Perversion eines Überwachungs-Containers im Stil von „Big Brother“ sollte die Weltöffentlichkeit mit der global verstärkt auftauchenden neuen Rechts-Lastigkeit konfrontiert werden. Die künstlerische Form der Aktion war dazu genauso wirksam wie die Platzierung in Österreich als dem Land, in dem als erstes seit dem Zweiten Weltkrieg eine extrem rechts stehende Partei an der Regierung beteiligt wurde. Die Folgen der Aktion bestärkten und überraschten Schlingensief: Es kam zu hitzigen politischen Debatten, offenen Anfeindungen, lautstarken Demonstrationen und permanenten Attacken durch rechte wie linke Gruppierungen bis hin zu versuchter Brandlegung und der Erstürmung des Containers. Währenddessen beteiligten sich annähernd eine Million User im Internet an den Abstimmungen und angegriffene FPÖ-Politiker sowie die Kronen Zeitung reichten eine Flut von Klagen ein.

Paul Poet begleitet in seinem Dokumentarfilm das Geschehen vom ersten bis zum letzten Tag und stützt sich dabei auf fast 100 Stunden Originalmaterial. Außerdem kommen in rückschauenden Kommentaren Gestalter, Freunde und Feinde der Aktion zu Wort: Schlingensief selbst, seine Managerin Claudia Kaloff, Dramaturg Matthias Lilienthal, Festwochen-Leiter Luc Bondy, Kulturphilosophen wie Burghart Schmidt oder Peter Sloterdijk, Politiker wie Bezirksvorsteher Richard Schmitz (ÖVP) oder Helene Partik-Pablé von der FPÖ und Gäste wie Daniel Cohn-Bendit, Elfriede Jelinek, Gregor Gysi, Josef Bierbichler oder Paulus Manker.

Streaming-Info

Der Film ist über unseren Vimeo-Kanal zum Leihen oder Kaufen erhältlich. Weitere Anbieter siehe „Film kaufen“.
Sprache: Deutsch, Untertitel: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch

Pressestimmen

Ein Film, der so temporeich wie Schlingensiefs Sprechgeschwindigkeit ist. (taz)

„Ausländer raus! Schlingensiefs Container“ entrollt in vielen Details die ironische Mechanik eines angekündigten Eklats. (...) Schlingensief fordert beide Seiten heraus, die Rechten und die Linken, das macht seine Aktionen stark, die er, auch das wird klar, stets mit hohem Restrisiko durchführt. Österreich schlägt zurück: ein Pandämonium, sehr zu empfehlen. (Stefan Grissemann, Nachrichtenmagazin „Profil“)

Filmemacher Paul Poet dokumentierte die wilden sechs Tage der Aktion, liefert ein Meisterwerk, das manchmal an Geschichten von Elisabeth T. Spira oder Ulrich Seidl erinnert. Er stellt schimpfenden Passanten und Politikern Statements sich mit Schlingensief verbrüdernder Intellektueller gegenüber. Und jene des Künstlers selbst, die sehr gescheit, jedoch nicht immer leicht zu kapieren sind. (Heike Obermeier)

Poets brillanter Film wie die Aktion selbst sind Lehrstücke einer anderen Ästhetik des Widerstandes. (SZ)

Der Film "Ausländer raus" ist ein spannendes, amüsantes, bisweilen schockierendes, weil deprimierendes Best of-Dokument dieser sechs Tage, das inhaltlich intensiv mit komplex verschachtelten Interviews mit Beteiligten, Politikern, Philosophen und Historikern der Kunstaktion auf den Zahn fühlt, sie erklärt, reflektiert - und dabei gänzlich unparteiisch bleibt. Regisseur Paul Poet, selbst an der Aktion als Projektleiter beteiligt, stellt sich auf keine Seite, sondern lässt wie Schlingensief selbst dies auch tut, den Wahnsinn sich selbst entlarven. Ein großes Kunststück, ist ihm da gelungen, dem Paul Poet. Respekt. (Radio FM4)

Der Film, den Paul Poet über diese Aktion gedreht hat, überrascht auf den ersten Blick dadurch, wie sehr er Film ist. Statt nur Dokumentation mit möglich viel „Authentizität“ zu sein, beharrt er auf seinem ästhetischen Eigensinn. (...) Es entbehrt also nicht der ästhetischen Ironie, wenn Poet auf die Unabgeschlossenheit des Prozesses in seiner Chronik einer angekündigten Kulturkatastrophe mit geradezu klassischen Mitteln der filmischen Abgeschlossenheit reagiert: Dramaturgie, Chronologie, wiederkehrende Bilder, Komposition von Einstellungen, die oft eher nach den Regeln des fiktionalen Kinos gewählt sind. Die Störung der Bilder, die Schlingensief und seinen Mitarbeitern hier so prächtig gelungen ist, generiert wiederum Bilder. (Georg Seeßlen, epd film)

Preise und Festivals

- Filmfestival Max Ophüls Preis, 2002 (Vor-Premiere Rough Cut)
- Berlinale German Film Market, 2002 (kurze TV Fassung)
- Diagonale Graz 2002 (Weltpremiere)
- Rhode Island International Film Festival 2002
- Ars Electronica Linz, 2002
- Popkomm (INTRO-Night E-Werk Köln, mit 3000 Zuschauern), 2002
- Roman Independent Film Festival, 2002
- Human Rights Nights International Film Festival, Bologna, 2002
- FIPATEL, Biarritz, 2002
- International Film Festival Rotterdam, 2003
- Mar del Plata International Film Festival, 2003 (Wettbewerb)
- Oldenburger Dokumentarfilmtage, 2003
- Houston Worldfest, 2003 (Gold Special Jury Award)
- Biennale São Paulo, 2003
- Brisbane International Film Festival, 2003
- Split International Film Festival, 2003
- Bergen International Film Festival, 2003
- POSIBLE Central and Eastern European Film Festival Barcelona, 2003
- MEDUNARODNI FESTIVAL, RIJEKA CROATIA, 2003
- THEATERFORMEN Staatsoper Braunschweig und Mannheim, 2004
- Freedom Film Festival Park City, Utah (Gegenveranstaltung zu Sundance), 2004
- Jewish Eye Filmfestival, Spielberg Film Archiv, Tel Aviv, 2004
- Lost Film Fest, USA und Europa Tour, 2004
- Images Festival, Toronto, 2004 (Main Prize)
- EURODOK, European Documentary Festival, Oslo, 2004
- Göteborg Film Festival (Elfriede Jelinek Retrospektive), 2005
- TOOONEEELLLEELLEL- Subversive Art Culture Festival, Antwerpen (Paul Poet Retrospektive), 2006
- CUT Filmfestival for Human Rights, Dresden, 2007
- ICA Institute of Contemporary Arts, London, 2008 (Film gezeigt in der Ausstellung DOUBLE AGENT)
- Filmfestival Istanbul, 2013
- Docaviv, Tel Aviv, 2013
- Twente Biennale, Enschede, 2013
- Der Neue Heimatfilm, Burg Klempenow, 2013
- VERSTÖRUNGEN – Ein Fest für Thomas Bernhard, Goldegg, 2013
- TRANZIT.HU, Budapest, 2014
- Prague Micro Festival, 2015
- TBA 21, Wien, 2016
- Sesc Film Festival, São Paulo, 2016
- Browndoin College Museum of Art, Brunswick, USA, 2016
- Intakt Festival, Graz, 2016
- Mudeum of Modern Art, New York, 2014
- CPH:DOX, Koppenhagen, 2018

Weitere Texte

Zur Entstehung des Films
von Paul Poet

März 2000. Ein deutsch-österreichisches Telefonat. Als damaliger Festivalkurator versuchte ich den Schockregisseur Christoph Schlingensief als Präsentator einzuladen. Preisverleihungsgala des ersten europäischen Internet-Filmfestivals. Leider keine Zeit. Theaterverpflichtungen in Graz. Aber da hätte Herr Schlingensief noch eine Idee. Eine Sommeraufführung für die Wiener Festwochen war gerade als zu teuer abgesagt worden. Aber das Angebot war prinzipiell noch da. Eine selbst verfasste Kolumne zum „Big-Brother“-Phänomen hatte Schlingensief angeregt. Warum sollte man das nicht als mediales Szenario verwenden, um das Bild vom fremdenfeindlichen Österreich, vom Rechtspopulisten Haider durchzuspielen. Konnte eine solche Kunstaktion auch im Netz funktionieren? Wie der Container in Hürth?

Weniger als drei Monate später stand Schlingensiefs Container und entzündete den Staat Österreich zu einem befreiendem Amoklauf. Parallel dazu hatte ich als Projektleiter und Regisseur der Online-Aufführung den Internetfernsehpionier webfreetv.com überredet, das Geschehen in und um den Container live ins Netz zu streamen bzw. durch ein mobiles Kamerateam zu beobachten. Sechs an einen Live-Schnittplatz angebundene Kameras in fixer Position übertrugen in Echtzeit die Inszenierung und den Tumult. Jeden Morgen wurden zusätzlich fünfminütige Kurzfilme als Tageszusammenfassungen freigeschaltet. Man konnte die Biographien der Asylanten nachlesen, sie denunzieren und sie aus dem Land wählen.

Neben dem europäischen Blätterwald, den Politikergefechten, den Emotionen vor Ort explodierte auch die Netzbeteiligung: Unfassbare 813.000 in den sechs Tagen des Geschehens. Links- und Rechtsradikale füllten die Chats und Foren. Zahlreiche Hackerangriffe, hauptsächlich von einer „Bruderschaft für Recht und Ordnung“, legten die Homepage von webfreetv.com für kurze Zeit komplett lahm und zwangen die extra erstellte Kunstseite www.auslaenderraus.at zu einem Serverwechsel ins ferne Kanada. Vom australischen Hippie-Fanclub, konservativen Frankfurter Geschäftsleuten bis zu slowenischen Nazi-Skins: Alle vereinten sich in diesem absurden Szenario zu gemeinsamer Kommunikation und Selbstentblößung.

Kurz nach dem Geschehen begann die Verdrängung: Politiker und Journalisten versuchten diese geschichtlich einzigartige Aktion, den Belastbarkeitstest einer westlichen Demokratie als kurzlebigen „Event“, ungeachtet der dadurch mobilisierten Massen, lächerlich und vergessbar zu machen. Schlingensief selbst bemühte sich um eine Buchveröffentlichung beim Suhrkamp-Verlag, die im Dezember 2000 erschien. Da das Geschehen aber vor allem von den Bildern lebte, musste eine Dokumentation her, um die Aktion nachvollziehbar zu machen. Das Filmmaterial lag aber bei dem inzwischen ideologisch umorientierten Sender webfreetv.com unter Verschluss (FPÖ-nahe Aktionäre der Firma hatten eine „Kommerzialisierung“ verlangt). Aufgrund einer Subvention seitens des Wiener Film Fonds entschied ich mich nach langer Suche zu einem Neubeginn mit der Newcomer-Firma Bonusfilm GmbH, die das Material schließlich freikaufen konnte. Es folgten neun Monate des Rekonstruierens. Neben den neu gedrehten Interviews mussten fast 100 Stunden Material gesichtet und aussortiert werden. Gesprächspartner wurden langwierig überredet, bis sogar Politiker der bei der Aktion offen angefeindeten FPÖ zur Verfügung standen. Es entstand, so meine ich, ein spannender Dokumentarfilm, der das Geschehen vor Ort nachleben lässt und zur Diskussion stellt.

Ausländer raus! Schlingensiefs Container
Georg Seeßlen, epd film, 2/2003

Wenn Christoph Schlingensief eine Aktion macht, ist das, als würde man einen Stein ins Wasser werfen und gucken, wie es Wellen schlägt – mediale. Bildstörungen sind dabei nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern gewollt. Jetzt hat Paul Poet einen luziden Film über Schlingensiefs Wiener Container-Inszenierung gedreht, der sich nicht an Eingeweihte und Einverstandene richtet, sondern den Diskurs neu aufrollt. Manchmal ertappe ich mich bei dem ernsthaften Wunsch, statt der vielen medialen Fragmente von Christoph Schlingensief wieder einmal einen „richtigen“ Film von ihm zu sehen. Vielleicht, damit ein politisch-ästhetischer Diskurs wieder zur Ruhe kommt, der sich längst so verflüssigt hat, dass man ihn nicht mehr richtig beschreiben kann, ohne sich heillos in der Schlingensiefschen Bilderfalle zu verheddern. Beim zweiten Nachdenken muss ich zugeben, dass dieser Wunsch reichlich reaktionär ist. Denn mit Schlingensief ist das Filmische ja einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Es hat seine manifeste Form überschritten, es hat unumkehrbar Inszenierung in den Alltag und Alltag in die Inszenierung gebracht. Und selbst die Hysterie, die diese Vermischung auslöst, ist Teil des Kunstwerks geworden.

Zweifellos war die Aktion in Wien, bei der Schlingensief und seine Mitarbeiter einen Container aufstellten, in dem reale Asylbewerber in der Art von „Big Brother“ zur Abschiebung ausgewählt und als „Peep Show“ im Inneren besehen werden konnten, während man drumherum abwechselnd Über-Identifikation mit und Provokation der rassistischen Politik Haiders und seiner Unterstützer von der „Kronen Zeitung“ betrieb, ein Knackpunkt für die politische Moral solcher Aktionen, ein Knackpunkt für den Kunst-Diskurs, ein Knackpunkt vielleicht sogar für die Kinotheorie. Das alles ist nicht ganz unabhängig davon, wie traumhaft hier die Politik, die Medien, die Öffentlichkeit und ganz konkrete Menschen „mitgespielt“ haben.
 
Der Film, den Paul Poet über diese Aktion gedreht hat, überrascht auf den ersten Blick dadurch, wie sehr er Film ist. Statt nur Dokumentation mit möglichst viel „Authentizität“ zu sein, beharrt er auf seinem ästhetischen Eigensinn. Der Film entwickelt die Chronik dieser Sommertage aus einem der trostreich-zynischen Lieder von Hermann Leopoldi und Betja Milskaja aus den dreißiger Jahren und erzählt eine (sehr) kurze Geschichte der Nachkriegszeit und des Aufstiegs der FPÖ aus dem Niedergang des Sozialstaats im Jahr 2000. TV-Aufnahmen des Gelöbnisses von Wolfgang Schüssel und seiner Koalition mit der FPÖ, der Sturm der Haider-Gegner auf das Burgtheater und das Hotel Imperial, die Sanktionen der EU-Partner gegen das Land, das sich als erstes eine Regierung mit Beteiligung neuer Rechtsextremisten leistete. Eine Bildermaschine im Schnelldurchlauf ist da zu sehen, und in diesem Augenblick kommt einem vielleicht zu Bewusstsein, wie schnell das alles vergessen war. Der Film ist, daher verstehen wir seinen Eigensinn, ein Versuch, der Aktion Dauer und Erinnerung zu geben. Und, wie es Schlingensief selbst später formulieren wird: „eine Maschine zur Störung der Bilder“. Daher informiert uns Ausländer raus! Schlingensiefs Container sehr ausführlich über die Konstruktion der Aktion; es wird, so scheint es, mehr erklärt als der „informierte Zeitgenosse“ benötigen würde.

Es ist kein Film für Eingeweihte und Einverstandene; man kann den Diskurs anhand dieses Films neu beginnen, er hält stets Distanz. Aber das erweist sich ebenso als Methode wie die zahlreichen Elemente von Inszenierung in der Dokumentation: die Skinhead-verdächtigen rasierten Schädel der „Security“-Darsteller, die Blaskapelle, die den „Einmarsch“ der Kandidaten begleitet. Und nebenbei gibt es scheinbar dokumentarische Bilder voller Anspielungen auf einen Film-Kosmos: das Bild von Alfred Edel hinter Christoph Schlingensief, der Gartenzwerg, der in einem Teil des Gesprächs mit dem Kulturphilosophen Burghart Schmidt die Finger reckt, ein kurzes Zitat von elektronischem „Schnittsalat“ bei der Aufnahme von Rainer Laux, dem Producer von „Big Brother“ in Deutschland.
 
Was wir in diesem Film sehen, ist indes vor allem die Ausbreitung eines filmischen Virus zur Bilderstörung. Wenn aus Nebenaktionen wie dem „Einkaufsbummel“ in der grotesken Kampagne der „Kronen Zeitung“ ein „Terrorüberfall“ wird, eine Boutique „Popp & Kretschmer“ sich gegen das Fotografieren wehrt und eine Klage wegen „Hausfriedensbruchs“ einreicht, dann ist dieses Wirklichkeitskino endlich bei Karl Kraus angelangt: Es gibt keine Kritik, die so scharf sein kann wie ein unkommentiertes Zitat. Genau in dieser Funktion inszenieren sich auch die Menschen, die auf die Aktion reagieren und denen der Film ganz fair ihren Raum lässt, ohne zu entscheiden, was Schauspiel und was Wirklichkeit ist, und ohne sich denunziatorischer Techniken zu bedienen. Die Menschen entscheiden selbst, wie weit sie gehen, und viele von ihnen werden dabei zu Autoren absurder kleiner Theaterstücke, etwa wenn ein Mann einem schwarzen Mitbürger entgegenschleudert: „Von Ihnen brauch’ ich keine Wahrheit. Ich les’ jeden Tag die Zeitung.“ Wenn es um das Produkt Rechtsextremismus in unseren Gesellschaften geht, dann geht es immer auch um den Menschen und seine Medien. Wie es umgekehrt bei jeder Bilderstörung immer auch um einzelne Menschen geht. Schlingensief hat in Wien einen Film erzeugt, und zweifellos fühlen sich auch die Beteiligten als Filmdarsteller und Bilderproduzenten. Noch die guten Haider-Gegner und Asylbewerber-Befreier haben als Ziel eine Veränderung des Österreich-Bildes, während den empörten Gegnern der Aktion nichts so sehr am Herzen liegt wie das Bild, das sich die anderen von ihnen machen. Poet hat das Filmische, das sich in einer Öffentlichkeit ausbreitet, die sich selbst nur als verstörte wahrnehmen kann, in einen Film rückübersetzt, der sich durch seine innere Struktur wiederum Dauer verleiht. Er stellt in gewisser Weise erst die Vergangenheit der Aktion her, die zunächst eher durch ihre räumliche und semiotische Ausdehnung gekennzeichnet ist.
 
Die Schlingensiefsche Kunst besteht ja vorzüglich darin, einen Stein in trübes Gewässer zu werfen, um dann zu sehen, wie sich die Wellen bewegen. Natürlich muss er auch aushalten, was er angerichtet hat, mehr noch, er muss (wie nach der Stürmung der Container durch die wohlmeinend dummen Befreier) entscheiden, ob eine Beruhigung akzeptiert werden kann oder neue Steine geworfen werden. Und aushalten muss der Künstler auch die moralische Unabgeschlossenheit eines solchen offenen Prozesses, den er selbst „eine hoch schweinische Angelegenheit“ nennt. Moralische Gewissheit ist bei einer solchen Aktion nicht zu bekommen; gegenüber einer Schlingensief-Aktion und ihren medialen Weiterungen kann man sich nicht „richtig“ verhalten. Es entbehrt also nicht der ästhetischen Ironie, wenn Poet auf die Unabgeschlossenheit des Prozesses in seiner Chronik einer angekündigten Kulturkatastrophe mit geradezu klassischen Mitteln der filmischen Abgeschlossenheit reagiert: Dramaturgie, Chronologie, wiederkehrende Bilder, Komposition von Einstellungen, die oft eher nach den Regeln des fiktionalen Kinos gewählt sind. Die Störung der Bilder, die Schlingensief und seinen Mitarbeitern hier so prächtig gelungen ist, generiert wiederum Bilder.

Credits

Buch und Regie
Paul Poet
Mit
Luc Bondy, Daniel Cohn-Bendit, Einstürzende Neubauten, Sven Gächter, Familie Garzaner, Katharina Gruber, Gregor Gysi, Carl Hegemann, Elfriede Jelinek, Gabriele Kaiba, Claudia Kaloff, Dietrich Kuhlbrodt, Rainer Laux, Matthias Lilienthal, Paulus Manker, Charles Ofuedo, Helene Partik-Pablé, Peter Pilz, Christoph Schlingensief, Burghart Schmidt, Richard Schmitz, Peter Sellars, Peter Sloterdijk, Armin Thurnher, Sandra Umathum, Heidemarie Unterreiner, André Wagner, Nina Wetzel
Kamera
Robert Winkler, Mario Sternisa
Schnitt
Oliver Neumann
Musik
Alec Empire, Komet, Aphex Twin, Unit, Hermann Leopoldi & Betja Milskaja, Heinz Ehrenfreund u.a.
Ton
Robert Mathy
Mischung
Christian Kardeis
Produziert von
Bonus Film
Kinostart (DE)
30.01.2003

DVD-Infos

Extras
Interview mit Christoph Schlingensief (30min), Interview mit Paul Poet (Okto TV), Original Aktions-Filme auf WebfreeTV, Grußbotschaft, Eine ungewöhnliche Werbeaktion, Originaltrailer
Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch, Französich
Ländercode
Code-free
System
PAL / Farbe
Laufzeit
90 min + 97 min Extras
Bildformat
16:9
Tonformat
DD 2.0
Inhalt
Softbox (Set Inhalt: 1)
Veröffentlichung
12.06.2015
FSK
Ab 16 Jahren

Kinoverleih-Infos

Verleihkopien
Blu-ray Disc (2.0)
Bildformat
4:3
Sprache
Deutsch
Untertitel
Deutsch, Englisch, Französisch
Werbematerial
Trailer, A1-Poster
Lizenzgebiet
Weltweit
FSK
16