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Europa und der zweite Apfel

D 1988, 110 min

Nach dem Essay „Über das Marionettentheater“ von Heinrich von Kleist.

Synopsis

Hans Neuenfels setzt sich in EUROPA UND DER ZWEIE APFEL mit dem wichtigsten Essay Kleists „Über das Marionettentheater“, das ein Schlüssel zum Kleistschen Gesamtwerk ist, auseinander. Im Mittelpunkt steht Kleist dabei selbst.
„Die große Frage Europas, Identität und ihr Verlust, wird in diesem sprachlichen Meisterwerk ebenso berührt wie die Sehnsucht nach einer neu zu gewinnenden Unschuld, die – so Kleist – bereits an der Pforte des Paradieses verloren ging und die als zentraler Punkt neu zu definieren und für sich zu entdecken der Sinn unseres Lebens sein sollte.“ (Hans Neuenfels)

Streaming-Info

Der Film ist über unseren Vimeo-Kanal zum Leihen oder Kaufen erhältlich.
Sprache: Deutsch, Untertitel: Englisch

Pressestimmen

Eindrucksvolle Bilder, die ständig zwischen alptraumhaftem Schrecken und Einfühlsamkeit pendeln und vor allem das Grundanliegen der Vorlage selbst widerspiegeln: Anmut und Grazie. Der Theaterregisseur spricht von seinen Filmen als „Raubdrucken, die aus den gesellschaftlichen Verhältnissen herausgepresst werden“ und sieht sie auch als einen Beweis dafür an, dass die „Verschwisterung von Theater und Film nicht unüberbrückbar“ ist; ihre Kluft zueinander sei in Deutschland immer noch viel zu groß. (General-Anzeiger, 1988)

Wenn Neuenfels hier intensiv den Text seziert, entspricht das der Kameraführung von Neuenfels’ Sohn Benedict, der immer wieder Hans-Michael Rehbergs und Ingo Hülsmanns Gesichter großformatig auf die Leinwand holt. Lautes und leises Sprechen und eine ausgefeilte Mimik bleiben so gleichgewichtig neben dem Wort. Dabei gelingen Neuenfels oft intelligente, in poetisch-symbolischen Szenen ausgedrückte Interpretationen. (Ruhr-Nachrichten, 1988)

Europa auf dem Stier und Europa unter Napoleon, die Schöne und das Tier: „Europa und der zweite Apfel“, ein Kostümfilm von Hans Neuenfels. Der Schauplatz sind West-Berlins Schlösser und Gärten. Ein junger Gott stolpert im Schwimmbad über sein Spiegelbild und wird zum Krüppel. Tränen sind gar kein Wort. Der Film ist kein Traktat. Die Gedankengänge werden zu Streifzügen durch die gemischte Kunst-Welt. Sie spielt nachts und tags, über und unter der Erde, im blauen Morgengrauen und im Pelz im Frost. (Sibylle Wirsing, 1988)

Im Mittelpunkt ist Kleist selbst, der Zerrissene, verbissen in die Suche nach Erkenntnis, nach Identität, gefangen in seiner Einsamkeit und Ichbezogenheit, aufprallend überall an Mauern, an Fratzen, an der Rohheit, am Leiden; an Menschen, die alle Fremde sind, die ihn nicht verstehen können, die ihn zurückweisen. Ingo Hülsmann, der herausragende junge Star des Volksbühnen-Ensembles, hat die flammende Energie für diese Figur. Es ist, als hätte er diesen Überdruck in jeder Faser, als könne sein Blick oder sein heftiger Zugriff Toto lebendig machen, und die Ausdrucksfähigkeit, die rasche Wandelbarkeit seines jugendlichen Gesichts ist erstaunlich. In Hans-Michael Rehberg steht ihm freilich als Herr C. ein ebenso intensiver und ausdrucksstarker Partner gegenüber, die Züge von einem bewegten Leben geprägt: manchmal ist er zum Fürchten, kalt und böse. An das Paar Mephistopheles und Faust denkt man fast von selbst. (SFB, 1988)

Weitere Texte

Hans Neuenfels zum Film

Die große Frage Europas, Identität und ihr Verlust, wird in diesem sprachlichen Meis-terwerk ebenso berührt wie die Sehnsucht nach einer neu zu gewinnenden Unschuld, die – so Kleist – bereits an der Pforte des Paradieses verloren ging und die als zentraler Punkt neu zu definieren und für sich zu entdecken der Sinn unseres Lebens sein sollte... Identität und Verlust, Sehnsucht und verlorene Unschuld, Skepsis und Hoffnung – das sind große europäische Begriffe. Kleist ist sie mit beispiellosem Mut angegangen, bevor sie in süßlicher Idylle und lähmender Gleichgültigkeit versanken. Und so hat er, Kleist, das allzu Drohend-Dunkle einen Blitz lang erhellt.
Kleists Essay ist auch gleichzeitig eine Recherche, ein labyrinthisches Reisen um die Welt. Das erste Kapitel, sagt Kleist, ist auch das letzte Kapitel. Er bezieht sich dabei auf das Erste Buch Moses, auf das dritte Kapitel: die Vertreibung des Mannes und der Frau aus dem Paradies und den Verrat durch die Schlange.
Kleist beschreibt hier schon das, was Kierkegaard mit dem Satz „Der Weg ist das Ziel, das Ziel ist der Weg“, später in seiner Philosophie ausführte. Erst jetzt wird uns klar, dass Kleists Text ein geschickt verzweifeltes Ablenkungsmanöver ist, und das bedeutet, dass alles darauf hinausgeht, dass wir noch einmal bereitwillig den Verrat durch die Schlange wiederholen. Aber nicht, indem wir von Schuld und Sühne gepackt, um Verzeihung bitten, dass wir unsere Unschuld verloren haben, sondern indem wir aktiv an der Eroberung eines neuen Paradieses arbeiten und die Herausforderung durch die Schlange, unser Bewusstsein nämlich, wertfrei ernst nehmen, mit all den Zweifeln und den Abstürzen, vornehmlich durch unser Tun. Leben heißt, sich schuldig machen, sagt Euripides. Ich denke, Kleist lässt das Adverb „schuldig“ weg und lapidarisiert den Satz „Leben heißt, sich machen“. ‚Poiein‘ heißt im Griechischen ‚tun‘, ‚machen‘, und der Poet ist der Dichter. Aber es betrifft nicht eng, was Kleist meint, diesen Stand – er steht höchstens pars pro toto für Kreativität und Selbständigkeit. Das was das bürgerliche Denken beunruhigt als Bruch, Fragment oder Antifabel empfindet – diese Fragilität, die darauf besteht, dass das Handeln und die Reflexion zusammengehören wie der Kopf und der Bauch, ist für uns Zeitgenossen vielleicht schwer zu erfüllen, aber es ist die einzige Möglichkeit, nicht unterjocht unserem Bewusstsein Rechnung zu tragen.
Der Diskurs als dramatisches Geschehen. Geht das? – Das wird unsere Frage und unser Versuch sein.
Ein Krimi der Phänomenologie – das wäre, hoch gestochen, unsere Absicht. Zu zeigen, wie leidenschaftlich und gefühlsbesetzt Denken ist, Denken sein muss, wenn es sich nicht trennt von dem, was wir Leben nennen und was doch zu oft und zum größten Teil nur die Verrichtung eines technisch-hygienischen, organisatorischen Ablaufs bedeutet, den jedwede Gesellschaft inzwischen Leben nennt. Der gefährliche Absprung von den wesentlichen Fragen unserer Existenz in die gleichgültig und gleichmütige Banalisierung zur augenblicklichen Norm hat uns doch – so wagen wir zu sagen – nicht glücklicher, nicht offener, nicht seliger gemacht, sondern doch eher leerer, schafsgeduldiger und blasser. Das fleckige Rot in unseren Gesichtern, das Blitzen in unseren Augen – das sind ganz seltene Weihnachtsgeschenke oder erhoffte Ostereier, denen wir, zumeist nur noch im Schlaf, mit pochendem Herzen nachzujagen wagen.
Die Reise, die Kleist meint, ist unendlich, aber es ist keine Reise in die Unendlichkeit, sondern sie ist unendlich, indem man reist. − Hans Neuenfels, 1987

Credits

Buch und Regie
Hans Neuenfels
Mit
Hans-Michael Rehberg, Ingo Hülsmann, Elisabeth Trissenaar, Bernhard Minetti, Ulrich Wildgruber, Peter Palitzsch, Mathieu Carrière, Hermann Treusch, Irm Hermann, Lola Müthel, Egon Madsen, Eva Evdokimova, Klaus Maria Brandauer, Barbara Morawiecz, Hans Martin Stier, Ulrich Haß, Thomas Hodina, Johanna Karl-Lory, Bettina Grack, Christiane Bruhn, Gabriele Buch, Carola Regnier, Jürgen Wallraff, Thomas Heidemann, Timothy Peach, René Ramser, Thomas Rohloff, Christa Bille, Gesellschaft in Preußen: Emanuela von Frankenberg, Tanja von Oertzen, Manfred Günther, Gottfried Lackmann, Ulrich Marx, René Ramser, Sylvester Schmidt, Artisten: Hanna Köhler, Sybilla Meckel, Lilian Naef, Uta Prelle, Marcus Bluhm, Wolfram Bölzle, Markus Dietz, Heino Ferch, Max Gertsch, Stefan Wieland, Hajo Zörner
Bildgestaltung
Benedict Neuenfels
Kamera-Assistenz
Uli Schmidt, Andreas Erben
Dolly
Dieter Bähr, Markus Pluta (Assistenz)
Standfotos
Gerhard Kassner
Schnitt
Klaus Zimmermann
Schnitt-Assistenz
Susan Fortson, Ruth Earnshaw
Musik
Hans Georg Koch
Ausstattung und Kostüme
Reinhard von der Thannen
Ausstattungsassistenz
Kathrin Brose, Heike Scheele
Bauten
Gerd Stallbaum
Requisite
Ursula Knispel, Uli Fischer
Maske
Johanna Rochlus, Christiane Weber, Hasso von Hugo
Garderobiere
Petra Wellenstein, Betty Pabst
Licht
Rainer Stonus, Volker Rendschmidt, Bernd Meckelein, Stefan Breitel
Ton
Detlev Fichtner
Ton-Schnitt
Heidi Heisuck, Gisela Lüpke
Ton-Assistenz
Andreas Walther
Musik-Tonaufnahme
Klaus Wagner, Stefan Schieske
Geräusche
Mel Kutbay, Thorolf Dormer
Mischung
Hans-Dieter Schwarz
Choreografie
Egon Madsen ("Apoll und Daphne")
Regie-Assistenz
Wilhelm Engelhardt
Script
Christian Hannoschöck
Aufnahmeleitung
Günter Klebingat, Axel Iwanter, Karsten Kilian
Herstellungsleitung
Lutz Weidlich
Produktionsleitung
Michael Stricker
Produktions-Assistenz
Heiko Petermann
Produktionssekretariat
Katrin Mehlhop
Geschäftsführung
Uli Adomat
Produzenten
Brita Kettner, Harry Reich-Ebner, Lutz Weidlich
Produziert von
Ecco Film, Freie Volksbühne Berlin und DB-Media Mailand
In Zusammenarbeit mit
WDR (Dieter Hens), ORF (Wolfgang Ainberger)

DVD-Infos

Extras
Gespräch zwischen Hans Neuenfels und Benedict Neuenfels zur Kleist-Trilogie (15 min)
Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Regionalcode
Code-free
System
PAL / Farbe
Laufzeit
110 min + 15 min Extras
Bildformat
1:1,66
Tonformat
DD 2.0
Inhalt
Digipack (Set Inhalt: 1), 20-seitiges Booklet
Veröffentlichung
22.11.2013
FSK
Ab 6 Jahren